LTW24: Erstmals wieder Rechtsextreme stärkste Kraft
AfD großer Wahlsieger, dahinter CDU & BSW. Als Direktkandidaten ziehen Dieter Laudenbach & Wolfgang Lauerwald wieder für Gera in den Landtag ein. Plus Hintergründe zu Kandidaten und Ergebnis:
Im Wahlkreis 041 Gera 1, auch genannt Gera-Nord, ging das Direktmandat erstmals an die AfD. Die Wahlbeteiligung lag bei 69,8 %:
Name, (Partei), Stimmen, Prozent
Dieter Laudenbach (AfD) 9 516 36,9
Jochen Trautmann (CDU) 6 918 26,8
Daniel Reinhardt (DIE LINKE) 5 106 19,8
Janine Puschendorf (SPD) 1 615 6,3
Peter Schmidt (WU) 1 206 4,7
Maik Stephan Witzel (FREIE WÄHLER) 909 3,5
Luis Schäfer (GRÜNE) 513 2,0
Damit zieht Dieter Laudenbach erneut in den Landtag ein. Laudenbach sitzt auch im Geraer Stadtrat und stand 2019 in der Stichwahl zum Oberbürgermeister. Der Gastronom steht außerdem im Verdacht, der Stasi-Spitzel IM »Klaus« zu sein. Laudenbach streitet es ab, aber eine Landtagskommission hält es für nachgewiesen, dass er ab 1986 für die DDR-Staatssicherheit tätig war.
Platz Zwei um das Mandat belegte Jochen Trautmann, der mit Ziel, Laudenbach Stimmen zu nehmen, angetreten ist. Der Dritte Daniel Reinhardt, der 2019 in diesem Wahlkreis das Direktmandat holte und eigentlich sehr aussichtsreich aussah, verpasste den Wiedereinzug ins Parlament.
Im Wahlkreis 042 Gera 2, auch genannt Gera-Süd, ging das Direktmandat zum zweiten Mal an die AfD. Die Wahlbeteiligung lag bei 66,9 %:
Name, (Partei), Stimmen, Prozent
Dr. Wolfgang Lauerwald (AfD) 9 702 43,6
Christian Klein (CDU) 6 397 28,8
Andreas Schubert (DIE LINKE) 4 462 20,1
Christian Peter Urban (SPD) 1 336 6,0
David Döring (GRÜNE) 347 1,6
Damit holt sich Wolfgang Lauerwald zum zweiten Mal den direkten Einzug ins Parlament. Der ehemalige Arzt fällt vor allem durch eine Nähe zu Reichsbürgern und Neonazis auf. Lauerwald nahm unter anderem an dem Reichsbürgertreffen in Gera im April teil und hielt zahlreiche Reden auf Demos, die von Neonazis organisiert wurden. Laut taz nahm er 2021 an einem „Heldengedenken“ teil, welches von der rechtsextremen Gruppe um den Reichsbürger Frank Haußner organisiert wurde. Außerdem nahm Lauerwald 2019 an einer Demonstration der Identitären Bewegung in Halle teil.
Zweiter wurde Christian Klein, der nicht nur im Stadtrat sitzt, sondern auch Ende Mai als erster Ortsteilbürgermeister von Geras größtem Stadtteil Lusan gewählt worden ist. Dritter ist Andreas Schubert, der wieder über die Landesliste in den Landtag ziehen wird.
Wie auch im gesamten Ergebnis geht die rechtsextreme AfD mit 32,8 % als stärkste Kraft in die neue Legislaturperiode. In Thüringen gelang schon 1930 einer rechtsextremen Partei die erste Regierungsbeteiligung. Damals bekam die NSDAP mit den Ministern Wilhelm Frick und Willy Marschler ihr NS-Experimentierfeld. Das hatte schon Wochen nach der Regierungsbildung erste Folgen. Innen- und Volksbildungsminister Frick entließ Lehrer*innen und Schulamtskandidat*innen, andere wichtige Posten wurden mit NSDAP-Mitgliedern besetzt und es wurden Aufführungen verboten. Außerdem kam es vermehrt zu gewalttätigen Kämpfen zwischen SA-Trupps und Antifaschist*innen. Und das allein Kurzmeldungen aus dem Jahr 1930.
Hinter der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften AfD kommen bei der Wahl 2024 die CDU (23,6 %), BSW (15,8 %), DIE LINKE (13,1 %) und die SPD (6,1 %). FDP und Grüne haben den erneuten Einzug ins Parlament verpasst. Dass die CDU so stark ist, könnte am sogenannten taktischen Wählen liegen. Dazu gab es die Initiative https://taktisch-waehlen.de/, die beide CDU-Kandidaten in Gera empfahl: „Dieser Kandidat hat als einziger realistische Aussichten, ein Direktmandat der AfD in deinem Kreis zu verhindern.“ Auch die CDU selbst plakatierte: „CDU wählen – Höcke verhindern“. Das könnte auch der Grund sein, warum Trautmann trotz eines verhaltenen Wahlkampfs so viele Stimmen erhalten hat. Ganz eindeutig lässt sich das aber nicht klären.
Die Wahlergebnisse von Gera werden am Mittwoch, dem 4. September um 15:30 Uhr im Rathaussaal 200 vom Wahlausschuss überprüft und abgesegnet. Die Sitzung ist öffentlich.
Schwierigkeiten bei der Koalitionsbildung
Für die Parteien wird es nun schwierig eine Regierung/Koalition zu bilden. Mit der AfD will niemand regieren, auch wenn sie CDU und BSW für Gespräche eingeladen hat. CDU kommt mit BSW und SPD nur auf 44 von 88 Sitzen im Parlament und damit zum Patt. Daher wurde gemutmaßt, ob nicht eine Person aus der Linken die Fraktion/Partei wechselt, damit diese Koalition die Mehrheit bekommt. Prominent wurde der bisherige Ministerpräsident Bodo Ramelow genannt. Ramelow hat jedoch angekündigt: „Nein, ich wechsele weder die Partei noch beabsichtige ich, meine Fraktion zu verlassen. Der Ball liegt bei der CDU und meine Partei ist gesprächsbereit!“
Eine Koalition mit der Linkspartei hat die CDU schon im Wahlkampf ausgeschlossen. Es existiert zudem ein Unvereinbarkeitsbeschluss der Bundes-CDU mit der Linkspartei (und der AfD) aus dem Jahr 2018. Mittlerweile gibt es, so berichtet unter anderem dpa, erste Annäherungen in Form von Gesprächen über den Haushalt 2025. CDU-MdB Mario Czaja fordert die Aufhebung des Unvereinbarkeitsbeschlusses zur Linkspartei. Zuvor hatten die CDU Thüringen erstmal nur Optionsgespräche mit der SPD und dem BSW Thüringen angekündigt: „Um die Möglichkeiten für weiterführende Gespräche über denkbare Konstellationen zur Regierungsbildung auszuloten.“
Russland großer Gewinner der Landtagswahl
Mit den Wahlerfolgen von AfD & BSW gewinnt Russland deutlich an Einfluss in unserer Demokratie. Nicht nur, dass AfD und BSW als russlandfreundlich gelten und Verbindungen zum autoritären Staat im Osten haben, auch über aktive Einmischung und Beeinflussung gibt es Berichte. Dass sich andere Länder für Wahlen interessieren und gegebenenfalls einmischen, ist keine Besonderheit. Jedoch fällt besonders Russland durch große Beeinflussung auf. Schon 2016 half Russland durch verschiedene Störungen und Kampagnen Donald Trump zum Sieg bei der US-Wahl.
Auch hier in Deutschland gibt es Beeinflussung. So erforschte CORRECTIV kürzlich die sogenannte Doppelgänger-Kampagne. Dabei geht es um Nachrichtenseiten, die aussehen wie die echten Webseiten von Medien wie Spiegel, Guardian und Süddeutsche Zeitung, aber Desinformation verbreiten. Die Spuren führen hier nach Russland.
Die Tagesschau berichtete von Einfluss auf europäische Wahlen mittels Mediennetzwerken, Fake-Accounts und orchestrierten Kampagnen. Es werden Verschwörungstheorien über Politiker*innen verbreitet sowie Straftaten (von Migranten) und investigative Recherchen zu vermeintlich brisanten Themen erfunden.
Es gibt riesige Botnetzwerke und Trollarmeen, die diese Desinformationen verbreiten und zusätzlich Debatten und Diskurse stören. Die Zeit hat in einem längeren Text über die Einflussnahme vor der EU-Wahl geschrieben. Darin geht es neben verschiedenen Kampagnen in Europa auch um den Hacking-Angriff auf den SPD-Parteivorstand und falsche Tweets der Außenministerin Annalena Baerbock. Über letzteren Fall schrieb die Autorin: „Binnen vier Wochen hatte das Auswärtige Amt dort 50.000 gefälschte Nutzerkonten identifiziert, die im Sekundentakt posteten, offenbar automatisiert und algorithmisch gesteuert.“ Auch die russische Regierung selbst verbreitet über ihre öffentlichen Kanäle Falschmeldungen, wie das Bundesministerium des Innern und für Heimat benennt und richtigstellt.
Durch das Pushen von antidemokratischen und populistischen Bewegungen und Parteien bringt Russland die westlichen Regierungen ins Wanken und baut sich somit Freiraum für sein Handeln auf. „Dafür werden polarisierende Themen in den jeweiligen Ländern verstärkt, um die Demokratien zu destabilisieren“, erklärte Julia Smirnova, Senior Researcher am Institute for Strategic Dialogue Germany (ISD) der Tagesschau. Das ist Teil der sogenannten hybriden Kriegsführung. Viel dreht sich bei diesen Kampagnen um die Ukraine, die von Russland auch militärisch angegriffen wird und die Unterstützung aus dem Westen erhält. Besonders AfD und BSW sprechen sich gegen die deutsche Unterstützung der Ukraine aus.
Mehr Berichterstattung zu den Wahlen:
Ronen Steinke über Höckes legales Erpressungspotenzial (SZ+)
„Wie bedroht ist unser Rechtsstaat?“, fragt der Tagesschau-Podcast 11km.
Tagesspiegel-Interaktivekarte mit den einzelnen Ergebnissen der Wahlen seit 1990.
Jetzt erst recht – Engagierte Menschen sprechen über ihre und ihren Widerstand gegen die Normalisierung der AfD. Mit dabei Philipp Venghaus (Projektmanager Häselburg) und Nour al Zoubi (Flüchtlingsrat Thüringen) aus Gera (taz).
So trug die AfD den Hass in die Parlamente (Tagespiegel+). (Über stateparl.de lassen sich die Reden auch selbst durchsuchen)
Übersichten von ZDF, Tagesschau, Spiegel, Stern, taz und Zeit zur Wahlberichtserstattung