Doppelte Verfolgung: Die Schicksale der Zeugen Jehovas in der NS- & SED-Zeit
Nachdem die Zeugen Jehovas schon unter den Nazis verfolgt wurden, waren sie auch in der DDR Ziel von Repression. Eine neue Ausstellung in Gera gibt Einblicke in die Schicksale.

In der Gedenkstätte Amthorduchgang gibt es seit Dienstag eine neue Sonderausstellung, die sich aus den beiden Teilen: „Standhaft trotz Verfolgung – Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime“ und „Bekämpft, doch nicht überwunden, Zeugen Jehovas in der Deutschen Demokratischen Republik“ zusammenfügt. Mit 33 Text- und Bildtafeln wird gezeigt, welcher Verfolgung die Zeugen Jehovas ausgesetzt waren. Einzelne Schicksale werden vorgestellt, wie das von Jonathan Stark. Er kam als 17-Jähriger ins KZ, weil er keinen Eid auf Hitler leistete und wurde dort gehängt.
Unter dem Beisein zahlreicher Zeugen Jehovas aus der Region wurde die Ausstellung am Dienstag eröffnet. Nach einer Führung durch die Ausstellung wurde das Thema in den Kaiserwerken vertieft. Es wurde eine Kurzdoku über den Musiker Erich Frost gezeigt, der als Zeuge Jehovas im KZ Sachsenhausen untergebracht war.







Wolfram Slupina, Geschichtsbeauftragter der Zeugen Jehovas in Deutschland, hielt einen Vortrag, der noch einmal die Geschichte der Verfolgung zusammenfasste. Die Zeugen Jehovas waren eine der ersten Gruppen, die in die Konzentrationslager kamen. Teilweise mussten sie die Lager sogar mit aufbauen. Dort wurden sie mit einem lila Winkel markiert und Bibelforscher genannt. Laut Slupina, weil die Nazis den Namen des jüdischen Gottes Jehova nicht verwenden wollten. Unter den Brüdern und Schwestern der Zeugen Jehovas waren besonders viele Kriegsdienstverweigerer. Nach der Verfolgung gab es kaum Erwähnung und keine Rehabilitation. Im Gegenteil wurden sie auch in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR verfolgt. Von Überlebenden erfuhr Slupina, dass die DDR-Haft teilweise sogar schlimmer war. Zu Beginn mangelte es vor allem an Hygiene. Einige berichteten, dass sie in denselben Knästen wie zur NS-Zeit inhaftiert waren und sogar in gleichen Zellen mit ihren alten Inschriften an den Wänden saßen.
Danach präsentierte die Soziologiestudentin Pauline Leopold Forschungsergebnisse. Sie ist selbst bei den Zeugen Jehovas und hat sich auf den Schwerpunkt Religionssoziologie konzentriert. Sie ergänzte den zeitlichen Abriss von Slupina und erklärte, dass die Zeugen Jehovas ab 1935 offiziell verboten waren. Schon zuvor hatten sie aber Probleme bekommen. Zum Beispiel gab es durch die NSDAP einen Wahlzwang, der mit der politischen Neutralität der Zeugen Jehovas kollidierte. Leopold hob dabei hervor, dass die Zeugen Jehovas im Grunde freiwillig im KZ waren. Denn sie haben ihren Glauben so stark gelebt, dass er ihre Identität geworden ist, die sie auch unter Repression nicht abgeben wollten. Verglichen zu anderen Gruppen hatten die Zeugen Jehovas in den KZs weniger Todesfälle, da sie sich „gut um einander gekümmert“ haben.
Den Abschluss des Abends bildete eine von Frank Karbstein und Pauline Leopold moderierte Gesprächsrunde mit zwei Eisenberger Jehova-Brüdern, die beide in der DDR inhaftiert waren. Von den KZ-inhaftierten Zeugen Jehovas lebt mittlerweile niemand mehr.
Der eine Zeitzeuge, Friedmar Wagner, geriet in den 1970er Jahren mit dem SED-Regime aneinander. Er hatte zwar den Grundwehrdienst geleistet, beschäftige sich danach jedoch mit der Bibel und wollte sich dadurch nicht mehr für die Reserve einschreiben lassen. Er bekam einige Ansagen von Funktionären und Offizieren, bevor er eines Tages um 6 Uhr in der Früh abgeholt wurde. Wagner, gerade frisch Vater geworden, wurde mit acht anderen in einem Barkas, wie der im Hinterhof der Gedenkstätte, nach Erfurt gefahren. Nach seiner Gerichtsverhandlung verbrachte er erst seine Haft im Stasi-Gefängnis Erfurt, bevor er nach Halle umgesiedelt wurde. Die sechs Monate Haft überstand er vor allem durch Gebete und die Bruderschaft. Wagner erzählte von 42 Gleichgesinnten im Vollzug. Außerdem bekam er jeden Tag einen Brief von seiner Frau, wenn auch er ihr nicht jeden Tag antworten durfte.
Wolfgang Barth, der zweite Zeitzeuge, verbrachte sogar 20 Monate in Haft. Auch er war Kriegsdienstverweigerer, hat sich jedoch vor dem Grundwehrdienst geweigert. Das ging zurück auf seine Schulzeit. Sein Lehrer nannte alle gefallenen Deutschen Kriegsverbrecher, was den jungen Wolfgang schockierte. Sein Vater starb im Zweiten Weltkrieg, sein Opa im Ersten. „Ich werde in meinem Leben nie ein Gewehr in die Hand nehmen, um jemanden zu erschießen“, schwor er sich. Durch einen schweren Unfall kam er als 18-Jähriger zur Bibel. Bei der Musterung weigerte er sich und kam vors Militärgericht in Erfurt. Dort wurde er zu 20 Monaten Haft verurteilt. Barth hatte auch die Option, zu den Bausoldaten zu gehen, doch er blieb standhaft: „Ich lehne jede Beteiligung an einer Armee ab“. Erst saß er in Berndshof bei Greifswald ein, wo er Zwangsarbeit für Rafena leistete. Dann kam er für zehn Monate nach Bautzen, in das berüchtigte gelbe Elend. Doch auch die Zeit überstand er: „Die Bruderschaft hat unheimlich Kraft gegeben.“
„Wir leben in einer Zeit, in der der Blick auf die Geschichte wichtig ist“, schloss Frank Karbstein den Abend ab. Die Ausstellung ist noch bis zum 28. Juni geöffnet. Pauline Leopold, die zudem gerade als studentische Hilfskraft in der Gedenkstätte arbeitet, steht montags und mittwochs für Führungen zur Verfügung.