Prozessauftakt zu mutmaßlichen ISPK-Männern
Zwei im März in Gera festgenommene Afghanen stehen seit Freitag vor dem Oberlandesgericht Jena. Ihnen wird die Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (ISPK) vorgeworfen.
15. November um 10 Uhr, die Verhandlung im Prozess über die mutmaßliche Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zweier Afghanen beginnt am Oberlandesgericht Jena. Zuerst wird der Angeklagte Ibrahim M. G. in den Saal geführt. Er ist an den Händen gefesselt und trägt einen Vollbart und einen dunkelblauen Parka. Ihm ist sichtlich unwohl, er wirkt nervös. Nach ihm wird Ramin N. hereingebracht. Auch er ist gefesselt, wirkt aber deutlich lockerer. Er trägt eine schwarze Sportjacke und einen Vollbart, der um einiges länger ist als der von G. Sie nehmen auf der Anklagebank Platz. Außen sitzen ihre beiden Rechtsanwälte und zwischen ihnen ein Dolmetscher, der für sie Sachen, die sie nicht verstehen, auf Farsi übersetzt. Begleitet werden die Angeklagten von einer Handvoll Justiz- und Polizeibeamter, die mit ernstem Blick hinter den Angeklagten sitzen. Gegenüber der Anklagebank sitzen die beiden Vertreter des Generalbundesanwalts. An der dritten Seite, zwischen Kläger und Angeklagten sitzen der vorsitzende Richter mit zwei weiteren Richter*innen und einer Protokollantin. Die Zeugenbank bleibt an diesem Tag leer. Es wird nur die Anklageschrift verlesen. Zeugen sollen in der nächsten Sitzung gehört werden.
Die Anklageschrift
Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof wirft beiden Männern eine Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor.
„Der Angeklagte Ibrahim M. sei hinreichend verdächtig, eine terroristische Vereinigung im Ausland unterstützt und sich in dieser als Mitglied betätigt zu haben (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1 StGB, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB). Bei Ramin N. bestehe der hinreichende Verdacht der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Beiden Angeklagten werden zudem die Verabredung zur Begehung eines Verbrechens (§ 30 Abs. 2 StGB i.V.m. § 211 StGB) sowie Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 a) AWG i.V.m. jeweils einschlägigen Vorschriften der Europäischen Union vorgeworfen.“
„Die Angeklagten sollen seit 2023 Anhänger der Ideologie der terroristischen Vereinigung ‚Islamischer Staat‘ (IS) gewesen sein. Ibrahim M. soll sich dem regionalen Ableger „Islamischer Staat Provinz Khorasan“ (ISPK) als Mitglied angeschlossen und unter Beteiligung von Ramin N. Spenden für die Vereinigung gesammelt haben.“
„Im Auftrag des ISPK sollen die Angeklagten einen Anschlag im Bereich des schwedischen Parlaments in Stockholm geplant haben. Dabei sollten möglichst viele Polizisten und andere Personen mit Schusswaffen getötet werden. Vor ihrer Verhaftung am 19.03.2024 scheiterten aber mehrere Versuche der Angeklagten, sich Waffen zu beschaffen.“
Die beiden Männer Ibrahim M. G. (*1994 in Kundus) und Ramin N. (*2000 in Kabul) wurden schon länger von den deutschen Behörden überwacht. Es sollen Hinweise aus dem Ausland vorausgegangen sein. Wie der MDR berichtet, haben das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das Thüringer Amt für Verfassungsschutz (AfV), das Bundeskriminalamt und die Bundesanwaltschaft an diesem Fall zusammengearbeitet. Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) war involviert.
Ibrahim M. G. soll ab Anfang 2023 Kontakt zum IS gehabt haben. Er hatte sich in Deutschland durch den Einfluss jihadistischer Propaganda radikalisiert. Über Telegramm stand er mit dem bisher nicht identifizierten IS-Mann „Akhi“ in Kontakt. Ermittler vermuten, dass dieser aus dem Iran heraus operiert.
Als erste Dienstleistung für den IS sammelte G. Spenden von rund 2000 €. Über einen nicht identifizierten Mittelsmann ging dieses Geld an eine iranische Bank, wo es „Akhi“ entgegennahm. Das Geld war zu Unterstützung der IS-Anhängerinnen im nordsyrischen Flüchtlingslager Al Hol gedacht.
Zusammen mit Ramin N. wollte G. ausreisen und im Ausland für den IS kämpfen. Geplant war die Beteiligung der Kämpfe in Nigeria, aber ein Kontakt zu den dortigen Gruppen kam nicht zustande. Aber ihnen wurden Kontakte zu anderen IS-Mitgliedern vermittelt, darunter der hochrangige „Talha“. G. soll ihm gegenüber am 3. August 2023 Treueeid abgelegt haben. Das wurde am selben Tag auch über die Medienstelle des IS bekannt gegeben.
Nachdem im Jahr 2023 in Schweden und den Niederlanden (zum Teil durch Rechtsextremisten) Korane, die heilige Schrift des Islam, verbrannt wurden, gab es weltweit Proteste von Muslimen. Der IS nutzte diese Situation, um zu Anschlägen in Europa aufzurufen. Nach Ansicht der Ermittler wollten die beiden Afghanen G. und N. einen dieser Anschläge begehen. G. erklärte sich dazu bereit, wie die Anklage bekannt gab. Am Parlamentsgebäude der schwedischen Hauptstadt Stockholm sollten sie Polizisten und andere Menschen angreifen. Mindestens 10 Menschen sollten bei dem Anschlag sterben. Laut Anklage haben sie auch gerechnet, dabei, selbst als sogenannte Märtyrer zu sterben. Zur Bekräftigung des gemeinsamen Tatplans schickte N. eine Audio-Predigt mit dem Titel „Ich gehöre nicht zur Gruppe der Feiglinge“ an G. Beide wollten auch nach Stockholm reisen, um das Anschlagsziel auszukundschaften. N. schlug vor, zuerst Waffen zu besorgen. G. war auch damit beschäftigt, im Internet nach Übernachtungsmöglichkeiten in Stockholm zu suchen und schaute sich auf Maps und in der Google Bildersuche die örtlichen Begebenheiten an.
Ein Waffenhandel mit einem Albaner in Deutschland scheiterte. Angeblich hatte man Zweifel an der Funktion der Pistole. G. und N. hielten immer wieder Rücksprache mit Talha. Sie recherchierten zu Waffenkauf auf dem Schwarzmarkt und überlegten in der Tschechischen Republik auf dem Schwarzmarkt zu schauen, genauer gesagt bei Karlsbad und bei Eger/Cheb. Ein Überwachungsteam des BfV verfolgte sie dabei. Noch vor Abfahrt auf die Autobahn stoppten beide an einer Moschee in Gera, die laut MDR „seit Längerem überwacht wird“. Es ist unklar, was sie dort gemacht haben, ob sie nur gebetet haben oder sich sogar einen Segen abgeholt haben. Details kommen sicherlich im Verlauf der Verhandlung ans Licht. Nach dem Besuch ging es weiter über die Grenze. Sie schauten sich auf dem Schwarzmarkt unter anderem eine Machete und einen Patronengürtel an. Doch sie reisten ohne Waffen wieder ab. Ungeplant vom Überwachungsteam wurden sie dabei nach Grenzübertritt von Polizeibeamten angehalten und kontrolliert. Sie finden einen Schlagring und beschlagnahmen die Handys. „Damit wurde aus einer geheimdienstlichen Überwachung ein polizeiliches Ermittlungsverfahren.“, schreiben Axel Hemmerling und Ludwig Kendzia in ihrer MDR-Recherche.
Danach sahen G. und N. keine erfolgversprechende Aussicht der Durchführung, wegen nun folgender Überwachungsmaßnahmen. Bis zur Festnahme geriet die Operation ins Wanken. Beim Auslesen der Handys hatte man die ausführliche Kommunikation entdeckt. Am 19. März fand die Verhaftung statt.
Angeklagter äußert sich zum Werdegang
Nach Verlesung der Anklage und einer kurzen Einordnung zum IS und dem Ableger IS-PK durch einen Vertreter des Generalbundesanwalts fragte der Vorsitzende Richter, ob die beiden Angeklagten beabsichtigen, Angaben zur Sache zu machen. „Mein Mandant wird sich schweigend verteidigen“, gab der Anwalt von N. an.
Aber G. wollte sich äußern. Im gebrochenen Deutsch, und mit der Unterstützung des Dolmetschers, erzählte er von seinem Werdegang. „Ich komme aus Afghanistan, meine Eltern sind in Afghanistan gestorben“. Er hat noch eine Schwester, die in Afghanistan lebt und einen Bruder im Iran. G. ging bis zur 6. Klasse in die Schule. Danach ist er für ein halbes Jahr im Iran gewesen und hat dort in der Landwirtschaft gearbeitet. 2008 ist er in die Niederlande ausgereist, wo er einen Sprachkurs und eine Schule besucht hat. 2014 wurde er dann wieder nach Afghanistan ausgewiesen. In Kundus hat er als Bauer und Taxifahrer gearbeitet. 2015 ist er mit seiner Schwester an die türkische Grenze gereist. Ihre Wege haben sich dort getrennt und er ist weiter nach Europa. In München hat er einen Asylantrag gestellt, die Polizei hat ihn weiter nach Suhl geschickt. Von dort wurde er nach Gera weitergeleitet.
„Haben sie in Gera jemanden gekannt?“, fragte der Richter. „Nein“, antwortete G. Für ihn war das völlig fremd. In der Moschee hat G. einen Mann kennengelernt, der ihn mit seiner ledigen Tochter verkuppelt hat. Beide wurden nach muslimischen Ritus in der Moschee verheiratet. Sie haben insgesamt drei Kinder. Das jüngste wurde im Oktober 2023, inmitten der Anschlagsplanungen, geboren. Frau und Kinder sind die einzigen, mit denen G. in der Untersuchungshaft Kontakt hält.
G. hat in Gera den Deutschkurs besucht und Niveau B1 erreicht. B2 hat er nicht bestanden. Auch seine Frau war beim Deutschkurs, in der Zeit hat er sich um die Kinder gekümmert. G. hat außerdem im Lager eines Paketdiensts in Gera gearbeitet. Der Verdienst schwankte, der „Staat hat geholfen“. Sein aktueller Status ist eine Duldung.
Nach einer knappen Stunde wurde die Sitzung beendet. Weiter geht es am 28. November. Dort werden die Zeugenaussagen zweier Polizeibeamter gehört, die die beiden Afghanen in Grenznähe kontrolliert haben. Eventuell will sich G. auch selbst zu den Tatvorwürfen äußern.