Queer-Sein in Thüringen: Acht Menschen erzählen
Am 1. Juni beginnt der Pridemonth, in dem es um die Sichtbarkeit von queeren Menschen geht. Doch wie geht es queeren Menschen in Thüringen, insbesondere Gera?
Ende September fand im thüringischen Gera der Christopher Street Day 2023 statt. Rund 450 Menschen aus Gera und Umgebung nahmen teil. Die Stimmung war gut. Die Sonne schien, und ließ die Gesichter und bunten Fahnen noch mehr strahlen. Entlang der Strecke winkten immer wieder Menschen zu. Darunter auch viele ältere Menschen.
Doch es gab nicht nur freundlichen Gesten in Richtung Demo. Mehrfach kam es zu Beleidigungen und Unmut, jedoch meist nur vor sich hin geflüstert. Außerdem fielen Personen auf, die aus der rechtsextremen Szene stammen und die Demo beobachten. Darüber zeigten sich einige besorgt. Zu Zwischenfällen und Übergriffen im Rahmen des CSDs kam es in Gera nicht. Jedenfalls wurde davon im Nachhinein nichts bekannt. Bei zahlreichen anderen CSDs kam es 2023 aber zu Anfeindungen und Attacken. Vor allem im rechten Spektrum wird Stimmung gegen queere Menschen gemacht. Und Thüringen hat eine große rechte Szene. Wie ist also aktuell in Thüringen, wo die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Partei AfD auf dem Vormarsch ist, als queere Person zu leben? Einige Menschen, die am CSD in Gera teilnahmen, erzählen:









„Man hat schon auch immer ein Stück weit Angst“ – Tay
Tay, 19, und Nils, 21, kommen aus Gera, Nils lebt jedoch Leipzig. „Weggezogen bin ich eigentlich wegen des Studiums“, erzählt er. „Aber ich bin auch froh, aus Gera weg zu sein. Wenn ich sehe, wie die Umfragewerte für die AfD in Thüringen steigen, fühle ich mich als queere Person unsicher. Sachsen ist jetzt nicht besser, aber Leipzig ist eine Ausnahme.“ Tay stimmt ihm dabei zu. „Gerade in Gera ist es immer wieder scary hier als queere Person rumzulaufen, weil es leider nun mal viele Nazis gibt, die nicht unbedingt haltmachen bei irgendwelchen doofen Sprüchen. Man hat schon auch immer ein Stück weit Angst.“ Nils berichtet, dass er regelmäßig blöde Kommentare von der rechten Seite bekam, wenn er in Gera mit Make-up herumlief.
An Safespaces für queere Menschen in Gera fallen beiden auch nur zwei Jugendclubs ein. Umso mehr freut sie der jährliche CSD. „Es ist auf jeden Fall schön zu sehen, dass so viele Leute sich zeigen und laut auf die Straße gehen, um zu sagen: Ey, wir sollten genau die gleichen Rechte und genau die gleiche Behandlung erfahren, wie alle anderen auch“, erklärt Tay. Nils findet aber auch, dass mehr aus der Politik kommen müsste. „Mehr Jugendangebote beispielsweise.“ Sonst sehen noch weniger Jugendliche ihre Zukunft in Thüringen. Auch Tay will nicht bleiben. „Ich habe vor, nach meiner Ausbildung hier, auch nach Leipzig zu gehen.“
„Mich schockiert, wie die Gesellschaft darauf reagiert“ – Steffi
Steffi, 40, nahm am CSD mit ihrem queeren Kind teil. „Wir sind zugezogen und wohnen auf dem Dorf in Thüringen und empfinden das als sehr konservativ und engstirnig. Da muss auf jeden Fall was passieren.“ Daher freut sie sich über den CSD. „Ich find’s gut für die Menschen, dass sie sich zeigen können und einfach dieses Wir-Gefühl haben. Und gerade auch für die Teenager und jungen Leute unter 20, die hier besonders stark vertreten sind, ist es ein absolut wichtiger, sicherer Raum, um sich auch mal zu zeigen und auch das zu leben, was man ist.“
Aber Hoffnung auf positive Veränderung hat sie nicht groß. „Die Akzeptanz ist in den letzten Jahren wieder ein bisschen weniger geworden.“ Die Bemerkungen unter den Schülern seien teilweise schlimmer als das, was Erwachsene von sich geben. „Das ist extrem krass, was die Leute da aushalten müssen.“ Steffi, die gerne in Thüringen bleiben möchte, hat sehr viel Angst um ihr Kind. „Mein Kind hat sich dieses Jahr auch selbst verletzt, aus dem Grund, dass es sich nicht zeigen kann, wie es eigentlich ist. Für mich als Mutter war das Outing keine Überraschung. Damit habe ich auch kein Problem. Aber mich schockiert das, wie die Gesellschaft darauf reagiert. Das macht mich extrem traurig.“
„Ich weiß, wer ich bin und ich lasse das einfach an mir abprallen“ – Mio
Phoenix, 21, Lily, 20, und Mio, 24 sind alle aus Gera. Sie erleben kaum Probleme. „Man stößt zwar auf negative Dinge, aber man versucht sowas zu ignorieren“, erklärt Lily. „Wenn dumme Sprüche kommen, dann blenden wir das einfach aus“, führt Mio aus: „Weil diese Leute einfach mit ihrem eigenen Leben unzufrieden sind und dann meinen andere angreifen zu müssen. Aber ich weiß, wer ich bin und ich lasse das einfach an mir abprallen.“ Körperlich wurden sie bisher nicht angegriffen. „Mal Sprüche und Kommentare, das ist das häufigste“, schildert Phoenix.
Aber nicht nur auf der Straße, sondern auch im privaten Umfeld bleibt das nicht aus. Lily benutzt Namen und Pronomen öffentlich und hat deswegen wenig Probleme. „Außer in der Familie, weil mein Gender nicht akzeptiert wird.“ Mio berichtet: „Auf Arbeit wird immer darüber gesprochen, aber das sind meist die älteren Generationen, die das halt nicht ganz so akzeptieren können, weil denen das fremd ist.“ Insgesamt ist es aber schon besser geworden. „Ja“, meint Mio, „Im Vergleich zu den letzten Jahren auf jeden Fall.“ In Gera wollen sie jedoch nicht dauerhaft bleiben. Grund dafür sind allerdings allgemeine Sachen. Auch in Thüringen sehen sie keine Zukunft.
„Ich würde schon gerne in Thüringen bleiben“ – Heidi
Die Dragqueen Heidi Witzka, 24, ist beim CSD aufgetreten. „Ich lebe in Jena, das ist eine angenehme Bubble zum Queer-Sein, verglichen mit anderen Städten in Thüringen.“ In Jena hat sie keine Probleme als Dragqueen, nachts nach dem Club nach Hause zu laufen. „Wenn man dann so in andere Städte geht, ist das schon ein bisschen anders.“ Heidi kommt aus Eisenach, wo sie im September den erstmals stattfindenden CSD moderierte. „Da hatte ich ein sehr mulmiges Gefühl im Bauch, weil da viele Rechte am Rand standen und gegafft haben.“
Den Hass gegenüber Dragqueens, der langsam von den USA auch nach Deutschland herüberschwappt, hat sie persönlich noch nicht abbekommen. Aber sie kennt es von größeren Städten, wenn Dragqueens Kinderbuchlesungen veranstalten. „Da gibts dann oft schon Proteste von "besorgten" Eltern. Alles Vorwand, um die eigene Homophobie auszudrücken. Aber da hier in Thüringen kriegt man das nicht ganz so mit wie in München oder anderswo.“ In Thüringen ist die Szene sehr klein. Doch sie wächst, sehr zur Freude Heidis. „Hier gibt's aber jetzt schon seit zwei, drei Jahren sehr viele junge Dragqueens, die auf die Bühne gehen, die Raum einnehmen, die auch politisch sich platzieren. Das macht Hoffnung, das ist eine gute Entwicklung.“ Vom CSD ist Heidi überwältigt, dass so viele Menschen da sind. Ihre Zukunft sieht sie auch in Thüringen. „Hier und da sind auch Faschos, aber grundsätzlich würde ich schon gerne in Thüringen bleiben. Einfach um hier die Dragszene und allgemein die thüringische Community ein bisschen zu unterstützen.“
„Man fühlt sich ein bisschen so, als wäre man im Zirkus.“ – Patrik
Patrik, 26, kommt ursprünglich aus Oberbayern und lebt seit einiger Zeit in Jena. „Ich habe das Privileg, dass ich männlich und relativ groß bin. Deswegen habe ich relativ wenig Probleme“, erklärt er. Dazu kommt eine recht große linke Szene in Jena. „Dadurch habe ich in den letzten Jahren wenig negative Erfahrungen gemacht. Aber ich habe schon das Gefühl, dass in Städten wie Gera schon mehr geschaut wird und man teilweise für die Leute eine Attraktion ist. Man fühlt sich ein bisschen so, als wäre man im Zirkus.“ Ihn zieht es nach Berlin, der Wandel nach rechts in Thüringen bereitet ihm Unwohlsein. „Ich weiß, wie es ist, auf einem kleinen Dorf in einem eher rechten Land zu leben, das will ich mir nicht nochmal geben.“ Den CSD in Gera findet er wichtig, um ein bisschen Aufmerksamkeit für Menschen zu schaffen, die sich in der Gesellschaft nicht so frei bewegen können. „Und auch ein bisschen, um den Leuten vor den Kopf zu stoßen, dass die einfach mal merken: Es gibt diese Menschen, die sind auch öffentlich, und das ist auch keine Randgruppe.“






Der Text ist im September in freier Arbeit entstanden, aber wurde bisher nicht veröffentlicht. An der Situation von queeren Menschen hat sich in der Zwischenzeit nicht viel geändert.