Tumult am Tag der Deutschen (Un-)Einheit in Gera
Rechtsextreme Demo durfte an Höhlerfest vorbei +++ Polizei gewaltvoll gegen antifaschistische Sitzblockade +++ Chaos zwischen Polizei, Antifas & Rechten vor dem Fest +++
Zum dritten Mal infolge wurde der 3. Oktober, der Tag der Deutschen Einheit, von Rechten instrumentalisiert, um sich in Anlehnung an die Wende-Demonstrationen ‘89/90 als „das Volk“ zu inszenieren. Die Demo fiel in diesem Jahr deutlich kleiner aus als in den Jahren davor. Das lag zum einen an der gesunkenen Teilnehmer*innenzahl der regulären Montagsdemos und zum anderen an der kurzfristigen Mobilisierung. Außerdem wurde seit Monaten für eine „Friedens-Demo“ in Berlin mobilisiert, bei der eine Melange aus rechten und linken Kriegsgegner*innen auftrat und sich dabei unter anderem für Gespräche mit Putin aussprach.
Laut Polizei waren es in Gera rund 330 Demonstrant*innen. 2022 zog die Demo noch 7.000-10.000 Menschen an und 1.300 im letzten Jahr. Unter den Teilnehmer*innen waren bekannte Rechtsextremist*innen, Reichsbürger*innen und auch vereinzelt potenziell gewaltbereite Personen. Es wurden neben den Flaggen von Gera, Thüringen, Russland, der BRD und dem Kaiserreich auch Fahnen der rechtsextremen Parteien AfD, Freie Sachsen und Die Heimat/NPD geschwenkt. AfD-MdL Wolfgang Lauerwald und AfD-Stadtrat Dr. Eike Voigtsberger wurden auch auf der Veranstaltung gesehen.
Die Veranstaltung wurde um 16:30 Uhr auf dem Hofwiesenparkplatz eröffnet, wo es einige Redebeiträge gab. Etwa eine Stunde später zog die Demo los. Anführer Christian Klar, ein vorbestrafter Rechtsextremist, wies die Leute an, in Formation zu laufen, weil ihre Route am Höhlerfest lang führt und man dort zwei bis dreitausend Menschen als Publikum hätte.
Antifaschistischer Widerstand bekämpft
Wie in den Jahren zuvor gab es auch diesmal antifaschistischen Gegenprotest, der aufgrund der Kurzfristigkeit kleiner, aber umso entschlossener ausfiel. Spontan fanden sich rund 90 Menschen zusammen, die sich zwischen dem Höhlerfest und der Marschroute auf der Breitscheidstraße positionierten. Das Aktionsbündnis Gera gegen Rechts meldete eine Spontankundgebung an. Der Bereich des Festes, der an die Straße grenzte war die Kinderwiese.
Als die rechte Demo aus Richtung Puschkinplatz kommend auf der De-Smit-Straße in Sichtweite trat, gab es einen Impuls im Gegenprotest. Mehrere Menschen lösten sich aus der Versammlung und setzten sich in drei Gruppen auf die Straßen, um in einer Form des zivilen Ungehorsams die rechtsextreme Demo zu blockieren. Die Polizei reagierte überrascht, aber schnell. Recht grob zogen und schoben sie die Antifaschist*innen dabei in beide Richtungen von der Straße runter. Dabei wurde es kurz gefährlich, als eine Straßenbahn vorbeifuhr.
Eine Gruppe schaffte es, sitzenzubleiben. Während das Gerangel zwischen Staat und Bürger*innen anhielt, bogen die rechte Demo in die Breitscheidstraße ein, umging einen quer gestellten Streifenwagen und bewegte sich auf die Blockade zu.
Der polizeiliche Einsatzleiter versuchte noch auf Klar einzureden, aber der entgegnete nur: „Du brauchst mich gar nicht vollquatschen!“ Die Polizei bestätigte auf Nachfrage, warum man die rechte Demo nicht umleitete: „Ein kommunikatives Einwirken auf den Versammlungsleiter zur Wegstreckenänderung verlief ergebnislos.“
„Ein kommunikatives Einwirken auf den Versammlungsleiter zur Wegstreckenänderung verlief ergebnislos.“
Christian Klar wirkte sehr aufgebracht. Es schien, als sei er solchen Widerstand in der Stadt nicht gewohnt. Bisher konnte er seine Demorouten ungestört durchsetzen. Er wies seine Gefolgschaft an, über die Straßenbahnschienen an der Blockade vorbeizugehen. Weil einige Antifaschist*innen schnell noch eine Sitzblockade auf den Gleisen machten, wichen sie dann auf den Radweg neben den Arcaden aus. Zuvor erklärte ein Polizist den Rechten, dass sie 10–20 Meter Abstand als Handlungsraum bräuchten. Jetzt zogen sie aber direkt daneben vorbei. Lediglich Klars Auto mit dem Bühnen-Anhänger musste umdrehen.
Es kam zu verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen und Rangeleien zwischen Polizei, Antifaschist*innen und Rechten. Schlagstock und Pfefferspray kamen nicht zum Einsatz. Eine Trennung der Lager schlug fehl, einige Rechte kamen zum Provozieren extra nah ran. Es mischte sich auch mit anderen Schaulustigen, darunter einige offenbar alkoholisierte Personen. Nach einer Viertelstunde kehrte wieder Ruhe ein. Die Rechten zogen über den Heinrichsplatz zurück zu ihrem Startpunkt.
Nach der Demo
Ein Polizist wurde leicht an der Hand verletzt, aber blieb dienstfähig. Unter den Antifaschist*innen gab es einige leichtverletzte Personen mit blauen Flecken und Schürfungen. Mehrere Regenschirme und eine Brille gingen zu Bruch. Von Verletzungen auf der rechten Seite gab es keine Berichte.
Die Polizei leitete mehrere Ermittlungsverfahren ein. „Unter anderem wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz (§ 27 VersG sowie § 29 VersG) sowie ein Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung und Volksverhetzung.“ Außerdem werden die zahlreichen Livestreams und Videos ausgewertet. „Die Ermittlungen hierzu dauern gegenwärtig noch an“, teilte die Polizei mit. Wie in einem Stream zu sehen ist, schimpfte Klar auf dem Rückweg ins Mikro: „Nächstes Jahr werden wir wieder … Monstertrucks bestellen und einfach drüberfahren über das Viehzeug!“
Die Antifaschist*innen kamen ohne weitere Maßnahmen davon, abgesehen von drei Platzverweisen für das Gebiet um den Hofwiesenparkplatz auf ihrem Heimweg.
Der Jugendblock der rechten Demo, der sich selbst „Gersche Jugend“ nennt, landete abschließend in einer Maßnahme. Die Polizei machte dazu aber keine weiteren Angaben. Die „Gersche Jugend“ hatte zu Beginn der Veranstaltung ein Frontbanner und ein Megafon überreicht bekommen, welches ihnen der rechte Unternehmer und WerteUnion Kandidat Peter Schmidt gesponsert hat. Einer der Anführer der GJ ist ein junger Aktivist, der unter anderem bei der Werteunion, dem Jugendrat Gera und der Jungen Union hinausgeworfen wurde und bei zahlreichen rechtsextremen Treffen, darunter eines mit Martin Sellner in Chemnitz, aufgetaucht ist. Bei den Demos in Gera trat er zuletzt im Frühjahr 2022 in Erscheinung, als er an dem Tag, als die Rechten vor das Haus des damaligen OBs Julian Vonarb zogen, eine Rede mit falschen Behauptungen hielt und die Stimmung weiter anheizte.
Eine Person aus der Blockade fand, dass es in dem Sinne erfolgreich war, weil sich die Rechtsextremen nicht ungestört vor dem Höhlerfest inszenieren konnten. Andere äußerten Unverständnis, dass den Rechten wieder so viel Freiraum gegeben wurde und dass sie so nah am Höhlerfest und anderen Kulturangeboten in der Stadt vorbeiziehen durften. Einer der Höhlerfest-Organisatoren stand während des Geschehens entgeistert daneben. Dass die Route an dem Fest vorbeiführt, hatte er auch nur recht kurzfristig erfahren.