Vor 80 Jahren: Gera wird von den Alliierten eingenommen
Am 14.4.1945 nimmt die US-Army Gera ein & befreit die Stadt von der Naziherrschaft. Die Nazis haben Gera bis zuletzt verteidigt & das Kriegsleid nur noch größer gemacht. Was an diesen Tagen geschah:

Der April 1945 war sehr ereignisreich in Gera. Ab 1944 wurde Gera mehrfach Ziel von Luftangriffen. Allein im April 1945 sind es drei Attacken. Am 6. April 1945 kommt es zum verheerendsten Angriff, der als „Schwarzer Freitag“ in die Geraer Geschichte eingeht. Am Tag darauf trifft eine Luftmine die Innenstadt, und am 13. April tötet ein Tieffliegerangriff 34 Menschen.
In einer Notausgabe der Geraer Zeitung am 10. April propagiert der Gauleiter für Thüringen, Fritz Sauckel, ein letztes Aufbäumen. Viel Hoffnung für einen deutschen Sieg bestand zu dem Zeitpunkt jedoch nicht mehr. Das hatte nun auch ein großer Teil der Bevölkerung verstanden. In Korbußen bei Gera lässt der Lehrer Willy Eckner Hitlerbilder in den Klassenräumen abhängen. Die Gestapo verhaftet ihn und lässt ihn aber wieder frei. Jedoch wird Eckner ein paar Tage später von SS-Leuten am 12. April in der Reichsstraße erschossen.
Auf dem „Blue Ridge Path“ nach Gera
Derweil rücken die Amerikaner weiter vor. Die 80th Infantry Division, die der 3. Armee unter Lt. Gen. George Patton angehörte, ist auf dem Vormarsch. Die 80th Infantry Division, auch „Blue Ridge Division“ genannt, wurde von Maj. Gen. Horace L. McBride geleitet. Im August 1944 in der Normandie gelandet, zogen sie quer durch Mittelfrankreich bis an die Westfront bei der Siegfriedlinie. Über Kaiserslautern, Worms, Frankfurt ging es nach Kassel. Von dort via Eisenach nach Thüringen, welches bis nach Chemnitz durchquert wurde. Ihr Ziel war es, bis in die Tschechoslowakei vorzustoßen, um den Nazis aus dem Norden die Rückzugroute abzuschneiden. Über Bayern ging es dann nach Süden bis nach Österreich. Die Strecke nennt sich „Blue Ridge Path“.
Am 13. April, als sie Jena einnehmen, ertönt in Gera Feindalarm. Der Röppischer Bürgermeister Alfred Böttcher lässt daraufhin in seinem Dorf eine weiße Fahne hissen. Die SS holt ihn aus dem Haus und erschießt Böttcher, der selbst auch Mitglied in der NSDAP ist.

Kämpfen bis zum Schluss
Trotz der aussichtslosen Lage soll Gera mit letzter Kraft verteidigt werden. Am Morgen des 14. April sprengen die Nazis die Eisenbahnbrücke Zwötzen, die Zoitzbrücke, die Elsterbrücke bei Meilitz und das Elster-Eisenbahnviadukt bei Wünschendorf. Lediglich die Autobahnbrücke in Thieschitz hält der Sprengung stand.
Von Westen her möchte das 319th Infantry Regiment, eine Untergruppe der 80th Division, in die Stadt, um dem Bürgermeister ein Kapitulations-Ultimatum zu stellen. Das 1st Bataillon der 319th bog von der Autobahn nach Töppeln ab, wo sie gegen 12:23 Uhr ankommen. Ein gefangener deutscher Offizier und ein amerikanischer Offizier begeben sich mit weißer Flagge zu den deutschen Truppen, um die Kapitulation der Stadt auszuhandeln. An einer Straßensperre versperren ihnen zwei deutsche Offiziere jedoch den Zutritt.
Mit Pistolen, halbautomatischen Waffen und Raketenwerfern blockierten die Deutschen in den Westvororten den Zugang nach Gera. Dazu hatten sie zwei Positionen mit jeweils einer 88mm-Flak. „Starrköpfiger Widerstand“, nannte es Richard B. Fleisher, der für die 80th Division Berichte schrieb.
Doch die Nazis lassen sich überlisten. Der kommandierende Befehlsgeber Normando A. Costello wies das 2d Bataillon an, von Westen her zu attackieren. Das 3d Bataillon bewegte sich auf der Autobahn weiter und soll von Osten und Nordosten in die Stadt vordringen, während das 1st Bataillon im Südwesten als Reserve bleibt.
Davor wird Gera noch einmal für eine Dreiviertelstunde mit Artillerie und Raketen der 4th Armored Division eingedeckt. So ist unter anderem in Bad Köstritz eine Mörserstellung. Bei dem Beschuss sterben neun Menschen. Im Osten kommt das 3d Bataillon nach kurzem Feuergefecht recht einfach nach Gera hinein. Sie räumen Scharfschützen- und Maschinengewehr-Positionen. Der Widerstand im Osten, der sich am Steinertsberg konzentrierte, bestand aus meist älteren oder verwundeten Soldaten aus der Reuß-Kaserne und dem sogenannten „Volkssturm“.
Im Westen geht der Kampf etwas länger und härter. „Der Feind hatte offenbar damit gerechnet, dass der Angriff aus dieser Richtung erfolgen würde und nicht von Osten, wo der Hauptangriff stattfand“, lautet der Kommentar dazu im Report von Costello. Zwei Rifle Platoons gehen die Munition aus. Da sprintet der Soldat Donald E. Lutz über das offene Feld und versorgt sie mit Nachschub. Für diese Aktion bekommt er später die Bronze Star Medal. „Unter völliger Missachtung seiner Sicherheit stürmte er über ein offenes Feld, trotz schweren feindlichen Beschusses, um die Munition zu liefern, die es den Zügen ermöglichte, den Angriff fortzusetzen und das Ziel einzunehmen“, heißt es in der Erklärung dazu.
„Dieser Widerstand brach zusammen, als das 3d Bn von hinten in die Stadt eindrang.“ Nur wenige Soldaten werden gefangen genommen. „Die meisten dieser Feinde wurden entweder getötet oder verwundet“, heißt es in einem Bericht der 319th Division. Die meisten deutschen Soldaten waren junge Kadetten einer nahen Fahnenjunkerschule. Das Regiment erleidet lediglich 10 Verletzte. Um 14:18 Uhr ist Gera in US-amerikanischer Hand. Die verbliebenen rund 1200 Soldaten in Gera kapitulieren. Das 3d Bataillon verblieb in Gera, um Recht und Ordnung sicherzustellen, während der Rest weiter Richtung Meerane und Crimmitschau zog.
Das Leben unter amerikanischer Besatzung
Als eine der ersten Amtshandlungen lassen die Amerikaner leuchtend rote Flugblätter aushängen. Auf denen stehen Regeln, die nun zu befolgen waren:
Zivilpersonen dürfen nur in der Zeit von 7.00 bis 19.00 Uhr auf den Strafen verkehren.
Niemand darf nach 19.00 Uhr auf der Straße angetroffen werden, es sei denn, er hat einen Spezialausweis.
Niemand darf die Stadt verlassen.
Für die gegenwärtige Zeit müssen die Lebensmittelgeschäfte in den oben genannten Stunden geöffnet sein, alle anderen Geschäfte haben geschlossen zu bleiben.
Alle Waffen, Schuss-, Hieb- und Stichwaffen, auch die Jagdwaffen, sowie Kleinwaffen, Pistolen, Munition usw. Muss ab 15.4.45 in der Zeit von 7.00 bis 19.00 Uhr im zuständigen Pol.-Revier abgeliefert werden.
Alle Sendeanlagen oder Sendegeräte müssen innerhalb dieser Zeit abgeliefert werden.
Wehrmachtsangehörige in Uniform oder Zivil, die sich hier verborgen halten, müssen von der Bevölkerung sofort ohne Verzug im zuständigen Pol.-Revier gemeldet werden. Die Strafe bei Unterlassung wird äußerst hart sein.
Es ist Zivilpersonen untersagt, sich dienstlich in irgendeiner Unterhaltung mit Angehörigen der amerikanischen Armee einzulassen.
Einer, der damals dabei war, ist Hans Peter Große. Besonders die Abgabe der Waffen war ihm in Erinnerung, wie er bei einer Gesprächsrunde im April 2025 erzählte. So kam es, dass die Leute auch alte, kaum mehr kampffähige Waffen vorbeibrachten. Große hielt die Szenerie in einer Zeichnung fest: Auf dem Kornmarkt posieren zwei GIs mit einem Säbel und einem Luftgewehr mit ihrem Jeep. An dem Auto lehnt das Namensschild der „Adolf-Hitler-Kampfbahn“, wie die Geraer Radrennbahn einst hieß.
Große erinnert sich auch noch, wie die Amerikaner auf dem Sportplatz an der „Ossel“ kampiert haben und wie Punkt 8. auf der Bekanntmachung nicht eingehalten wurde. Die jungen Soldaten haben in Gera junge Frauen aufgesucht. „Das war die Realität“. Auch hielt man sich nicht an das Verbot politischer Aktivitäten. Im Ostviertel wurde eine Ortsgruppe der KPD gegründet. Ohne Zustimmung der Amerikaner haben Geraer Antifas Nazis aus der Stadtverwaltung geholt und mit eigenen Leuten, die teilweise gerade erst aus Gefängnissen und KZs kamen, besetzt. Die Amerikaner waren bei der politischen Säuberung etwas langsamer. Erst am 5. Mai 1945 wurden der Bürgermeister und der Verwaltungsdirektor verhaftet. Am 7. Mai wurde Rudolf Paul zum Oberbürgermeister ernannt. In den 1920ern hatte er versucht, Hitler als „lästigen Ausländer“ abzuschieben.

Ansonsten nahm das Leben in Gera wieder Fahrt auf. Seit dem 24. April war wieder elektrisches Licht und Wasser (mit Unterbrechung) verfügbar. Zuvor mussten die Gerschen mit Eimern Wasser holen, was besonders für die Bewohner*innen der oberen Viertel Strapazen bedeutete. Im Elektrizitätswerk ging lange die Dampfturbine nicht an, da der Mühlgraben kaum Wasser führte. Zu viele waren Trümmer hineingestürzt.
Die US-amerikanische Besatzung dauerte nicht lange. Im Juli zogen die GIs ab und die Sowjets kamen.