Wie steht es um die Meinungsfreiheit?
Mit der Gesprächsreihe "Das wird man [in Thüringen] ja wohl noch sagen dürfen" tourt PEN Berlin durch den Freistaat & diskutiert über Meinungsfreiheit. Die Takeaways der Runde in Gera:
Für den Abend im großen Saal des Geraer Theaters lud die Schriftstellervereinigung PEN Berlin den Kabarettisten Florian Schröder und den Journalisten Georg Restle sowie die Journalistin Doris Akrap, die moderierte. Diese Zusammenstellung war eine Ausnahme, denn es war niemand aus Ostdeutschland dabei, worauf PEN Berlin bei den anderen Terminen aber geachtet hatte.
Akrap begann mit der Standardeingangsfrage: „Herrscht Meinungsfreiheit in Deutschland?“ „Ein ganz klares Ja!“, antwortete Schröder. Juristisch betrachtet hat er keine Zweifel und auch moralisch/ethisch sieht er sie vorhanden. Restle stimmte ein: „Ja, es herrscht Meinungsfreiheit, aber es hat sich was verändert im Land.“ Damit spielt er auf das Meinungsklima an. Die Gesellschaft diskutiere härter, besonders an den extremen Rändern.
Soziale Medien nicht alleiniger Grund der Verschärfung, aber Teil davon
Mit den sozialen Medien gibt es nur viel mehr Sender von Botschaften als früher. „Die Mechanismen sind schneller als unsere Skills, damit klarzukommen“, benennt es Schröder. Er sieht aber nicht nur die sozialen Medien als Grund der Veränderung, sondern dass im Laufe der Zeit die öffentlichen Räume zerstört worden sind. Er sieht den Ursprung in den Jahren ab 1968, als gesagt wurde: „Das Private ist politisch“ und wir dadurch zwischen öffentlichen und privaten Räumen nicht mehr unterscheiden. „Ich rede privat auch anders, als wenn ich auf einer Bühne sitze“, erklärt er und bedauert den Verlust von öffentlichen Räumen und von gewissen Höflichkeitsregeln.
Dennoch tragen die sozialen Medien dazu bei, dass man nicht mehr diskutieren kann. „Erfolgreich in den sozialen Medien ist, wer empört, wer Empörungswellen lostritt oder wer Empörungswellen verstärkt“, wie Restle anmerkt. Denn die sozialen Medien steuern den Algorithmus.
Im Öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) herrscht Meinungsfreiheit
Natürlich ging es auch um den ÖRR, dem Restle und Schröder angehören. Schröder als Kabarettist in verschiedenen Sendungen und Restle mit seiner Sendung Monitor im WDR und als Kommentator in der Tagesschau. Beide sagten klar: Im ÖRR herrscht Meinungsfreiheit. Restle fügt hinzu: „Ich bin nicht nur großer Fan des ÖRR, sondern auch einer der größten Kritiker.“ Er findet den Einfluss der Politik auf die Rundfunkräte noch zu groß. Auf Nachfrage, wie denn der Einfluss aussehe, erklärte Restle, dass in den Rundfunkräten weiterhin Politiker*innen sitzen und eben diese Räte die Intendanten bestimmen. „Hat sich aber reduziert“, fügt er noch hinzu.
Der ÖRR ist teilweise mutlos
Lange drehte sich die Diskussion auch um Mutlosigkeit. Schröder lobte den ÖRR, fand aber auch, es herrsche ein „System der Mutlosigkeit, zerfressen von der Angst, Fehler zu machen“. „Das ist der Tod, zumindest von allem, was Kunst bedeutet. Kunst ist Risiko, Kunst ist Radikalität, Kunst ist Versuch, Kunst ist Irrtum“, sprach der Satiriker. Restle stimmte dem zu und berichtete auch von den Kampagnen, die die Grundidee des ÖRR angreifen. Später ging er nochmal auf das Thema ÖRR und Corona ein. Da herrschte in der Anfangszeit eine Mutlosigkeit und Unsicherheit: Muss man warnen oder hält man die Flagge der Freiheit hoch? Nach seinem Eindruck wurden viele ÖRR-Sendungen zum Sprachrohr der Regierung und gaben deren Warnungen unhinterfragt weiter. Das sei so bei vielen Menschen auch hängen geblieben. Solche Unsicherheiten hätte man aber klarmachen müssen.
“Journalismus kann nicht neutral sein”
Das erklärte Restle damit, dass man Dinge nicht neutral betrachten kann. Jedoch sollten Journalist*innen immer möglichst objektiv sein. Als Beispiel nannte er die Tagesschau, die zwar von vielen Menschen als neutrales Medium wahrgenommen wird, aber bei der Auswahl der Themen in ihrer Redaktion selbst entscheidet, was wichtig ist und was nicht. „Ein ehrlicher Journalismus macht das transparent“. Neutralität wird oft so verstanden, dass man unkritisch sein soll und alle Meinungen/Seiten gleich betrachtet werden müssten.
Restle erinnerte auch noch einmal an die Entstehung des ÖRR, dass die Alliierten das initiiert haben, damit ein Bollwerk gegen das Wiedererstarken des Faschismus entsteht. „Nein, es ist nicht alles gleich. Es gibt Feinde der Verfassung, denen wir keine Bühne geben sollten.“ Schröder erklärte zudem, dass redaktionelle Entscheidungen keine Zensur sind.
Talkshows zwischen zwei Formaten
Im Laufe der Debatte kam man auch auf Talkshows zu sprechen, die in der Meinungsfreiheitsthematik eine große Rolle spielen. Restle stellte hierbei fest, dass aus dem Unterhaltungsformat Talkshow plötzlich ein „angeblich journalistisches Format“ geworden ist. „Es funktioniert aber nicht nach den Regeln des Journalismus, sondern nach den Regeln der Unterhaltung. Das heißt: Ich brauche möglichst gegensätzliche Meinungen“, erklärt Restle. Faktenchecks funktionieren in dem Format nicht so wirklich und so können falsche Behauptungen schnell die Runde machen. „Wenn man sich streiten will, müssen sich zwei Wissende gegenüber sitzen, nicht jemand mit Meinung“, fand eine Person aus dem Publikum und kritisierte damit die ungleiche Talkshow-Besetzung, auch „false Balance“ genannt. Eine andere Person meinte: „Wenn ich bestimmte Leute sehe, weiß ich schon, was kommt“.
“Meinungsfreiheit heißt auch keine Meinung zu haben” - Florian Schröder
Meinungsfreiheit hat auch ihre Grenzen
Ein Zuhörer, der angab aus der Sowjetunion zu stammen, fand es gäbe keine Meinungsfreiheit mehr in der BRD, weil Leute wegen ihrer Meinung im Gefängnis sitzen und nannte einige rechte Akteure, die für Volksverhetzung verurteilt worden sind. Restle und Schröder klärten ihn auf, dass es Grenzen der Meinungsvielfalt gibt und diese bei Volksverhetzung und Holocaustleugnung sind. „Wer das nicht akzeptiert, muss mit den Konsequenzen rechnen“, erklärte Schröder. Da ihm die Antworten scheinbar nicht gefielen, verließ der Fragesteller empört den Saal.
Wir müssen Streiten neu lernen
Viel ging es an dem Abend um das Streiten und Diskutieren. Ein Zuhörer fand, dass man sich die Meinung seines Gegenübers anhören sollte und dann erstmal darüber nachdenken könnte, bevor man anfängt zu streiten. „Ist man bereit, wertfrei zuzuhören?“, fragte eine Zuhörerin. Schröder stellte auch fest: „Es herrscht eine ungeheure Unverzeihlichkeit“. Frühere Meinungsäußerungen wird man nicht los. „Ich als öffentliche Figur kann damit umgehen, andere nicht“, erzählte er und fügte hinzu: „Niemand hat bedingungslos Recht.“ Auch das viele Beleidigtsein findet er unerträglich.
Der Blick auf den Osten müsste anders sein
„Ich hab’s als Ossi genug, von Zeitungen auf die Couch gelegt zu werden“, formulierte es ein Zuhörer. Ein anderer hat das Gefühl, dass die Ossis bei Reportagen immer wieder vorgeführt werden. Er hätte es lieber, dass man mehr über die Fähigkeiten und das Positive im Osten berichtet. Restle bestätigte aber, dass sich mittlerweile die Wahrnehmung bessert. Auch Akrap erzählte, dass die taz, bei der sie arbeitet, sehr häufig „anlasslose Reportagen“ macht.
„Wir brauchen ein mentales Fitnessstudio!“
Das nannte Doris Akrap die Idee des Abends. Restle fand, dass die Leute zu wenig lesen und im Kopf fit machen. Das würde helfen, in Diskussionen besser dazustehen. Schröder gab auch den Tipp: „Wenn man weiß, was man macht, steht man gut da“. Nach zwei Tagen interessiere es meist „eh keine Sau mehr“. Restle, der schon Ziel vieler Shitstorms war, wünscht sich lieber kritische Zuschauer*innen: „Bitte mehr davon!“
Die Diskussion gibt es hier in Teilen auch zum Nachhören.
Leider hatte der Abend noch einen unschönen Abschluss. Als gegen 21:45 Uhr die ersten Gäste schon draußen vor dem Theater standen, trat ein Vermummter an einen 42-Jährigen heran und schlug ihn zweimal. Daraufhin flüchteten der Täter und eine weitere Person Richtung Hauptbahnhof. Ein mutiger Feuerwehrmann, der die Tat beobachtete, rannte hinterher und konnte die beiden in der Straßenbahnunterführung stellen, wo sie von der Polizei aufgegriffen wurden. Der 42-Jährige wurde leicht verletzt und kam zur Untersuchung ins Krankenhaus. Am Tag danach waren die Verletzungen im Gesicht noch deutlich sichtbar. Das Motiv für die Tat ist noch unklar. Der Geschädigte gehörte nicht den Theatergästen an und vermutet selbst, dass er verwechselt wurde. Bei dem 26-jährigen Täter und seinem Begleiter handelt es sich um zwei Neonazis, die in letzter Zeit bei rechtsextremen Veranstaltungen wie dem „Compact-Sommerfest“ und dem AfD-Sommerfest mit Höcke und auch den Montagsdemos in Gera in Erscheinung getreten sind.