Wo Rauch ist, muss auch Feuer sein
Bericht zur 1. Mai-Demonstration "Kämpfe verbinden - Kapitalismus überwinden" in Gera.
Die Antifaschistische Aktion Gera (AAG) rief für den 1. Mai zu einer antikapitalistischen Demonstration durch Gera auf. Nachdem im Vorjahr Polizei und Demonstrant*innen aneinander geraten waren, versuchte es die AAG erneut und hatte Erfolg. Die Polizei zählte rund 760 Teilnehmer*innen, rund 200 mehr als 2023.
In diesem Jahr ging es deutlich entspannter zu. Die Polizeikräfte ließen ihre Helme ab und die Ordner*innen schauten schon zu Beginn, dass sich niemand zu sehr vermummt. Auch sorgten sie dafür, dass keine Partei- und Nationalflaggen geschwenkt wurden. Man schien neue Strategien zu verfolgen. Passant*innen wurden zu Beginn Flugblätter mitgegeben, Zuschauenden gewunken. Rechter Gegenprotest blieb aus und auch die Anzahl der Beobachter*innen, die man der rechten Szene zuordnen konnte, war gering.
Nicht ausgeblieben sind kritische bis abfällige Parolen und Sprechchöre adressiert an die Polizei, befeuert von den Erlebnissen aus dem letzten Jahr. Die Polizei ließ sich allerdings nicht provozieren. Sie hielt sich zurück, auch als kurz nach der ersten Zwischenkundgebung zwei Rauchtöpfe gezündet worden sind.
Nach der zweiten Zwischenkundgebung an der Häselburg wurde ein Banner gehisst, welches Grüße nach Sondershausen ausrichtete. Dort fand an jenem Tag ein Treffen von Rechtsextremen, auch mit Gerscher Beteiligung, statt, welches von Gegenprotest begleitet wurde. In der Demo wurden daraufhin mehrere Rauchtöpfe gezündet. Es wurde kurz hektisch, aber entspannte sich wieder. Die Polizei zog Kräfte vor der Demo zusammen und filmte in den Frontblock hinein, der sich mit Schirmen verdeckte. Von den Organisator*innen wurden die Menschen zurechtgewiesen und Ordner*innen nahmen die Regenschirme ab. Die Polizei prüft, ob bei der Pyro-Aktion mit Vermummung gegen das Versammlungsgesetz verstoßen wurde. Ohne weitere Zwischenfälle zog man zum Hauptbahnhof zurück, wo die Versammlung nach einigen Redebeiträgen beendet wurde. Aufgrund der Hitze hatte man die Demo verkürzt.
“Arbeitskämpfe sind revolutionäre Kämpfe”
Inhaltlich hatte die Demonstration viel zu bieten. Dem Motto “Kämpfe verbinden” wurde entsprochen und dementsprechend Reden zu den verschiedenen Kämpfen gehalten. Die erste Rede kam von den Organisator*innen, der Antifaschistischen Aktion Gera (AAG), selbst. Man ging auf verschiedene Themen ein, die zu einem gemeinsamen Kampf verbunden werden sollen. Insbesondere auf den Faschismus wurde hingewiesen: “Die immerwährende und in den letzten Jahren wieder deutlicher hervortretende Bedrohung durch autoritäre, rechtsextreme und faschistische Ideologien erfordert von uns allen eine entschlossene und solidarische Antwort”. Ansätze, dem zu begegnen, nannten sie auch: “Ein Antifaschismus, der multiple Formate bedient, ist unerlässlich, wenn er wirksam sein will.”
Zu den zu verbindenden Kämpfen zählen sie auch die sozialen Krisen: “Nur dann, wenn wir die Wurzeln von Ungleichheit und Ausbeutung erkennen, benennen, aufzeigen und bekämpfen, sind wir in der Lage, an den Verhältnissen etwas zu verändern.“
Auch gab man sich realistisch im Blick auf die große Revolution, auf die in linken Kreisen viele hoffen: “Wir leben jedoch auch in der Realität dieser Tage und die gibt uns vor, die Räume, die wir haben, mit Leben und Aufklärung, Gestaltung und Solidarität zu füllen, um viele weitere Menschen zu inspirieren, sich uns anzuschließen und weitere Räume zu erobern.” Mit Blick auf die Situation der Arbeiter*innenklasse wurde allerdings von Revolution gesprochen: “Arbeitskämpfe sind revolutionäre Kämpfe, ohne diese hätten wir heute weder eine 5-Tage-Woche, noch einen 8-Stunden-Tag. All das wurde in zähem Ringen, teils unter Einsatz von Leben, jedoch vor allem gemeinschaftlich erzielt.” Und das, so mahnt es die AAG, reicht noch lang nicht: “Solange Lohnarbeit vor allem den wenigen dient, die sich die Taschen auf Kosten der Mehrheit füllen, ist der Kampf nicht vorbei.”
Es wurde kritisiert, dass der Politik das Korrektiv des sozialen Gewissens fehlt. In der Rede der AAG wurden dazu auch Rassismus, aktuell im Umgang mit Asylsuchenden, sowie Sexismus und Umweltzerstörung angeprangert: “Da wo die Ressourcen von uns allen für die Macht von wenigen verschwendet werden, ist es an uns zu verstehen - Klimagerechtigkeit geht nur antikapitalistisch.”
Auf der ersten Zwischenkundgebung auf dem Zschochernplatz sprach ein Geraer Gewerkschafter über die Geschichte von Gewerkschaften. Besonders erinnerte er an den 2. Mai 1933, den Tag, an dem Nationalsozialisten in ihrer bekannt brutalen Vorgehensweise die Gewerkschaften zerschlugen. An jenem Tag wurden die Immobilien der Gewerkschaften gestürmt, Funktionär*innen verhaftet und die Gleichschaltung aller Gewerkschaften vorangebracht. Viele der Gewerkschafter*innen überlebten die NS-Zeit nicht. Gewerkschaften waren seinerzeit die stärkste Waffe im Kampf gegen den Faschismus.
Der nächste Beitrag, der von der antifaschistischen Gruppe Dissens aus Erfurt stammte, prangerte die “Herrschafts- und Produktionsverhältnisse” an. “Ihr Zweck ist allein stetiges Wachstum, gefüttert durch Aneignung unserer Arbeitskraft. Dafür fallen zwar Brotkrumen ab, die gerade dazu reichen, die nötige Arbeitskraft aufrechtzuerhalten”, beschrieben sie ihre Sicht. “Ein selbstbestimmtes Leben ist so noch lange nicht möglich. Ziel muss es stattdessen sein, Kritik am Schein der Autonomie zu üben und für den Eintritt in ein wahrhaft menschlichen Zustand zu kämpfen.”
Von einem Arbeiter aus Erfurt wurde auch Christian Lindner und die FDP-Forderung von Leistungskürzungen angesprochen. “Der darf sich erst das Maul aufreißen, wenn er sich wie mein Vater nach 40 Stunden in der Fabrik den Rücken kaputt gemacht hat”, wurde der Frust über Lindners Politik abgelassen. “Ich mache mir nicht für das Bruttoinlandsprodukt die Bandscheibe kaputt!”
Bei der zweiten Kundgebung an der Häselburg wurden in mehreren Beiträgen die Situation der 1. Mai-Demo im letzten Jahr beschrieben. Einen Beitrag steuerte die Betroffenengruppe der Hausdurchsuchung infolge des 1. Mai in Gera 2023 bei. Sie berichteten vom Ablauf der Demonstration, von der Stimmung, die hochkochte, von etlichen Schlägen mit Schlagstöcken und von Haaren, die abgeschnitten werden mussten, weil so viel Pfefferspray drin war. “Wut, Fassungslosigkeit und Unverständnis sind die Begriffe, die uns dazu einfallen”. Auch die Hausdurchsuchungen hinterließen bei den Betroffenen ähnliche Gefühle. Sie beschrieben es als “massivst übertriebene Machtdemonstration”, der sie ausgeliefert waren: “Und was geht den meisten von uns durch den Kopf: wieder Fassungslosigkeit und Wut!”
“Man fragt sich wie es sein kann, dass Antifaschismus in Deutschland immer noch derartig niedergerungen werden soll.” Aber sie wehren sich dagegen und versuchen stark zu bleiben: “Wir, die Betroffenen der Hausdurchsuchung, stehen heute wieder gemeinsam mit euch hier auf der Straße in Gera, um euch zu sagen: ,Lasst euch nicht kleinkriegen!’”
Aber nicht nur die eigenen Probleme beschäftigten die Szene. Ein Beitrag berichtete über die Zustände im Lager in Hermsdorf. Dort sind auf engstem Raum und ohne Privatsphäre über 700 Flüchtlinge untergebracht. Es gibt Berichte von verschimmeltem Essen und Ärzt*innen, die nur kommen sollen, wenn mehrere Menschen krank sind, damit es sich lohne. “Wir fordern die Schließung aller Lager”, lautete die abschließende Forderung.
Nachdem die dritte Kundgebung am Stadtmuseum ausgelassen wurde, gab es die verbliebenen Reden am Bahnhof zu hören. Aus Weimar gab es einen Beitrag, der unter anderem noch einmal auf den Kapitalismus einging: “Der Kapitalismus zerstört seine eigene Grundlage”. Man will den Kapitalismus überwinden und eine gerechte Alternative finden. Abgeschwächte Varianten wie den sogenannten grünen Kapitalismus überzeugen sie nicht: “Wir wollen ein Ende des Kapitalismus, der uns zerstört. Egal, in welcher Farbe er angemalt ist.”
Der letzte Beitrag lehnte sich daran an und ging auf die Krisen und ihre Folgen ein. Davon, dass die politischen Reaktionen auf Krisen eine deutliche autoritäre Tendenz haben und die Spaltung zunimmt. “Wir müssen Antworten auf die Probleme unserer Zeit finden”, sprach man und forderte neue Strategien. Mit “Im Osten steht die Jugend auf und setzt alles in Bewegung!”, wurde sich noch einmal Motivation für die Heimreise mitgegeben.
Zusammenfassung zur Situation bei der 1.Mai Demo im Vorjahr: