6. Bauhaustag: Altes und neues Wohnen in Gera
Zum sechsten Mal lud der Heimat Region Gera e. V. zum Bauhaustag. In diesem Jahr gab es einige Wohnprojekte und Wohnhäuser zu sehen, mit Tragik, Größe und Höhe.
Am Sonntag, dem 25. August, fand der sechste Bauhaustag in Gera statt. Thematisch ging es dabei nur am Rande um Bauhaus, sondern mittlerweile mehr um architektonische Besonderheiten in Gera. Bei den insgesamt sechs Stationen lag auch ein Fokus auf Wohnen und Veränderung.
Villa mit tragischer Familiengeschichte
In der unauffälligen Ebelingstraße steht die schmucke Backsteinvilla der Familie Mazur. Die Stolpersteine vor dem Haupteingang sind der erste deutliche Hinweis auf die Geschichte des Hauses. Der jüdische Industrielle Robert Mazur ließ das Haus 1921 bauen. Entworfen von dem Geraer Architekten Rudolf Schmidt, entspricht es dem Heimatstil. Bis 1939 wohnte die Familie Mazur hier. In der Kristallnacht 1938 stürmten mehrere SS-Leute gegen vier Uhr nachts in die Villa und bedrohten Robert Mazurs Ehefrau Gertrud und die Kinder. An die Gartenmauer wurde außerdem „Judah verrecke!“ geschmiert. Robert Mazur, der sich zu dem Zeitpunkt in Berlin aufhielt, kam zurück und wurde zusammen mit seinem ältesten Sohn Otto verhaftet und nach Buchenwald gebracht. Nach drei Wochen konnten Angestellte von Mazurs Firma ihn und seinen Sohn aus dem KZ holen. Sie gaben an, seine Unterschrift für die „systemgerechte Übergabe“ (Arisierung) seiner Teppichfabrik Halpert und Co. zu benötigen. Familie Mazur nutzte die Gelegenheit und floh nach London. Dabei schmuggelten sie auch noch zwei Thora-Rollen der jüdischen Gemeinde Geras außer Landes. Die Familie überlebte den Krieg, abgesehen von Robert Mazur der 1942 an seinen in Haft erlittenen Misshandlungen starb.
Trotz seiner Nähe zum Hauptbahnhof wurde das Haus im Krieg von Beschuss verschont, büßte im Laufe der Zeit aber den Großteil des Gartens ein, der bis zum Bahndamm ging und dem jüdischen Tennisverein von Gera als Trainingsort diente. Zu DDR-Zeiten war hier ein nicht unumstrittenes Kinderheim untergebracht. Später diente es als Bürogebäude für eine Kanzlei und seit 2022 ist es die Dienststelle des Abfallwirtschaftszweckverbands Ostthüringen (AWV).
In der Eingangshalle des Hauses sind noch der kupferne Ofen und die Treppe mit geschnitztem Geländer original vorhanden. Auch einige Wandschränke und Türbeschläge sind noch erhalten geblieben.
Das Haus war dank der Großzügigkeit und vielen Ehrenämtern Mazurs ein beliebter Treffpunkt der damaligen Gerschen High Society. Es gab auch ein Musikzimmer und ein großes Speisezimmer. Das Wohnzimmer war seinerzeit vom Gerschen Architekten Thilo Schoder gestaltet worden. Im letzten Jahr gründete sich der Verein „Villa Mazur“ e. V., der die Villa wieder mit kulturellem Leben füllen will und das Andenken an politisch Verfolgte und vertriebene Menschen wahren möchte.
Wohnen über der Stadt
Die zerstörende NS-Zeit hinterließ auch an der nächsten Station ihre Spuren. Denn im Gegensatz zur jüdischen Villa wurde das Schloss Osterstein im Krieg mehrfach von Bomben getroffen und verlor einen Großteil seiner Schönheit. Schon im Mittelalter bebaut, entstand das Schloss im 16. und 17. Jahrhundert und gehörte der Fürstenfamilie Reuß. Nach Kriegstreffern 1945 und Ruinen-Sprengung 1962 sind nur noch die Wolfsbrücke, der Bergfried und die Wirtschaftsgebäude mit Schlossgarten erhalten. 1964 wurden ein Terrassencafé und eine Freilichtbühne auf die freien Flächen gesetzt. Die Wirtschaftsgebäude befinden sich gerade im Umbau. Nachdem sie lange vor sich hin gerottet hatten, werden sie wieder wie zu DDR-Zeiten zur Nutzung als Wohngebäude saniert. In dem hinteren Haus entstehen daher mehrere Wohnungen, alle mit unterschiedlichem Schnitt und hochwertiger Ausstattung. Am Bauhaustag gab es Führungen durch den Rohbau.
Bis zum Ende des Jahres sollen sie fertig sein. Ab Herbst kommen die offiziellen Anzeigen. Durchschnittlich soll die Warmmiete bei 1.700 € monatlich liegen. Aber die Lage ist schon einmalig.
Die Besichtigung führte auch in den Gartensaal, der sich zwischen dem Haus und dem Schlossgarten versteckt. Der 1720 errichtete Saal mit Stuckdecken soll auch saniert werden, damit er für Festlichkeiten vermietet werden kann. Egal ob „Geburtstage, Hochzeiten oder Scheidungen“, wie eine Gästeführerin flachste. Der Saal, der zwischenzeitlich als Kohlenkeller diente, soll dazu wieder barock-mäßig hergerichtet werden.
Ein Viertel als Denkmal
Ein weiteres Wohnprojekt von noch viel größerem Umfang ist der Bieblacher Hang, der in diesem Jahr erstmals Station des Bauhaustags war. Das Viertel wurde in 1950ern als eines der ersten Stadtgebiete der DDR neu konzipiert, um den vielen Bergarbeitern der SDAG Wismut und ihren Familien Platz zu geben. Insgesamt sollten 25.000 Menschen in Bieblach untergebracht werden.
Durch die charakteristische und großzügige Flächengestaltung steht es als bauliche Gesamtanlage einschließlich der Parks und Grünanlagen seit den 1990ern unter Denkmalschutz und ist damit eines der größten Kulturdenkmale in Thüringen.
Zum Bauhaustag gab es neben einer Aufführung der Schalmeienkapelle 1962 Löbichau e.V Führungen mit dem Gästeführer Region Gera e. V. durch das Quartier. In einer Dreiviertelstunde konnte man einiges über die Entstehung, die unterschiedlichen Hausformen und das damalige Baukonzept erfahren. So ist der Volkspark auf dem Gartengelände zweier Villen entstanden; jeder Block besaß einen eigenen Wäscheplatz und die 12. Regelschule hatte ein eigenes Schwimmbecken.
Außerdem ließ die Wohnungsgesellschaft Immoma Interessierte in einer der sanierten Wohnungen im Leonhard-Frank-Weg. Die Firma saniert seit 2019 ihre rund 800 Wohnungen im Quartier unter dem Motto „Der Bieblacher Hang erwacht“ denkmalgerecht und will damit bis zum nächsten Jahr fertig werden.
34 Meter über Gera
Während die genannten Stationen alle nicht in die Epoche von Bauhaus und Neues Bauen fallen, war ein Klassiker wie der Handelshof wieder dabei. Das 1928/29 erbaute Hochhaus (34 m hoch) mit dem markanten Sparkasse-Schriftzug ist eines der prägendsten Gebäude in Geras Innenstadt und der Sitz der Sparkasse Gera-Greiz. Besucher*innen hatten am Bauhaustag wieder die Chance, der Bank aufs Dach zu steigen und durch die roten Buchstaben auf Gera zu blicken.
Zu den weiteren Stationen gehört die Villa Schulenburg sowie die Golde-Fabrik. Das leerstehende und als Marktkauf bekannte Fabrikgebäude in der Wiesestraße befindet sich ebenfalls im Umbau. Früher produzierte hier Traugott Golde mit seiner Firma Traugott Golde AG Autoteile. Ab 2025 soll es für Servicewohnen1 genutzt werden.