In Sachsen-Anhalt verbotene Veranstaltung fand in Gera statt
Blick auf die Kontroverse um eine rechtsextreme Veranstaltung, die andernorts verboten wurde, aber in Gera unter anderer Aufmachung stattfinden konnte.
Am 16.07.2024 verkündete das Bundesinnenministerium das Verbot des rechtsextremen Magazins „Compact“. Mithilfe einer umfangreichen Materialsammlung des Bundesamts für Verfassungsschutz bewertete das Ministerium, dass das Magazin gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Menschenwürde verstößt und dabei "aggressiv-kämpferisch" auftritt. Im Zuge dessen haben die Behörden in Sachsen-Anhalt auch ein für letzten Samstag geplantes „Compact-Sommerfest“ verboten. Die Veranstaltung sollte auf dem Rittergut des ehemaligen AfD-Politikers André Poggenburg im Burgenlandkreis stattfinden.
Nach dem Verbot gab sich die Gruppe „Aufbruch Deutschland“ als neuer Veranstalter eines „Sommerfestes der Pressefreiheit“ zu erkennen, das zur gleichen Zeit und am gleichen Ort stattfinden soll wie die zuvor verbotene Veranstaltung von „Compact“. „Aufbruch Deutschland“ bezeichnet sich selbst als bundesweite Interessenvertretung, als deren Vertreter André Poggenburg genannt wird. Doch auch diese Veranstaltung wurde verboten. „Wir hatten Anhaltspunkte dafür, dass es sich hier um eine Ersatzveranstaltung für diesen verbotenen Verein handeln könnte, deswegen ist ein Verbot von der Polizeiinspektion erlassen worden“, erklärte ein Polizeisprecher gegenüber Spiegel-TV.
Und hier kommt Gera ins Spiel. Der Rechtsextremist Christian Klar, der in Gera die wöchentlichen Montagsdemonstrationen organisiert, im letzten Jahr auf dem Compact-Sommerfest war und eng mit Poggenburg vernetzt ist, kündigte eine „gleichwertige Alternative“ also eine Ersatzveranstaltung in Gera an. So meldete er für das gleiche Datum eine Kundgebung auf dem Hofwiesenparkplatz in Gera an. Das Ordnungsamt nannte erst keine Auflagen. „Von der ursprünglich angemeldeten Versammlung war dies nicht ableitbar“, erklärte uns die Pressestelle der Stadt. „Dies änderte sich im Laufe der Freitagnacht und Samstagmittag, sodass unmittelbar vor Durchführung der Versammlung eine andere Bewertung erfolgen musste.“ So wurde der Verkauf von Getränken und Speisen sowie Textilien und Druckerzeugnissen untersagt.



Von 15:00 bis 19:00 Uhr versammelten sich rund 320 Menschen auf dem Hofwiesenparkplatz zu Klars Kundgebung unter dem Motto „Wir für Frieden und Freiheit“. Trotz überregionaler Mobilisierung waren es von der Zahl nur unwesentlich mehr als jeden Montag auf der Straße, wo in den letzten Wochen immer 210-270 Menschen dabei sind. Zu dem verbotenen Sommerfest in Sachsen-Anhalt sollte auch der ausländische rechtsextreme Aktivist Martin Sellner und der Compact-Gründer und ehemalige Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer kommen. Beide traten stattdessen in Gera auf, zusammen mit Poggenburg, AfD-MdL Wolfgang Lauerwald, der auch schon an Reichsbürgertreffen teilnahm, sowie anderen Gesichtern aus der rechten Szene. Die Redner*innen hielten heftige Reden, beleidigten die deutsche Innenministerin Nancy Faeser und bezeichneten sie als Schande für die Demokratie. Auch wurde sich thematisch dem Magazin gewidmet. "Wir haben uns entschieden zu kämpfen", sprach Stephanie Elsässer, Frau von Jürgen Elsässer und ehemalige Mitarbeiterin, auf der Bühne: "Compact wird wieder auferstehen!"





„Wir sind heute hier versammelt, weil die ursprüngliche Veranstaltung verboten wurde. Wir wollten ein Sommerfest für die Pressefreiheit veranstalten, insbesondere aus Protest gegen das Verbot des Compact Magazins“, erklärte Rechtsextremist Sellner gegenüber Gerda. Sellner gilt als Vordenker der neuen Rechten und als einer der Anführer der rechtsextremen Identitären Bewegung. 2018 hatte Sellner eine Geldspende von dem Australier Brenton T. erhalten, der ein Jahr später aus rassistischen Gründen 51 Menschen in Neuseeland ermordete und weitere verletzte. Sellner nannte die Hauptbotschaft der Veranstaltung die Bedeutung der Pressefreiheit und den Widerstand „gegen diesen Akt der Zensur“.



Wie das mit der Pressefreiheit aussah, konnte man im Spiegel-TV-Beitrag sehen. „Nimm die Kamera weg, du überlebst den Tag heute nicht!“, brüllte ein älterer Herr den SPIEGEL-Reporter an und schubste einen anderen Journalisten. "Ich kann dir mal die Kamera wegtreten", provozierte ein junger Neonazi. Gerda-Reporter Gordyaen kam glücklicherweise unbehelligt davon. Die Polizei nahm insgesamt neun Straftaten und eine Ordnungswidrigkeit auf. Darunter waren eine Bedrohung zum Nachteil eines Pressevertreters, sowie drei Verstöße gegen das Versammlungsgesetz, eine Beleidigung und mehrere Widerstandshandlungen gegenüber Polizeibeamt*innen verzeichnet. „Bei der genannten Ordnungswidrigkeit handelt es sich um einen Verstoß gegen das Vereinsgesetz im Zusammenhang mit dem Verbot des Compact-Magazins“, schrieb die Polizei. Es wurden mehrere verfassungswidrige Symbole gezeigt, auch Flyer von Compact lagen sichtbar herum. Ein tätowierter Waffen-SS-Totenkopf wurde erst nach der Versammlung festgestellt und ist in der obigen Auflistung nicht dabei.





Die Widerstandshandlungen gegenüber Polizeibeamt*innen entstanden, als die Polizei den Verkauf von Eis unterband, da das laut der Auflagen nicht erlaubt war. Das sorgte für noch mehr Unmut bei den Rechten und kurzen Rangeleien mit der Polizei. In der Nacht vorher gab es auch einen Polizeieinsatz mit Bezug zur Veranstaltung. Einige Personen, die sich in Gera gegen Rechtsextremismus positionieren, hielten es für sinnvoll, auf dem Platz der Veranstaltung Graffiti zu sprühen. Christian Klar erwischte sie dabei und soll einen körperlich verletzt haben. Die Polizei leitete Ermittlungen wegen einer Sachbeschädigung durch Graffiti sowie einer Körperverletzung ein.
Die rechtsextreme Veranstaltung schloss um 18 Uhr einen Marsch durch die Innenstadt mit rund 180 Teilnehmer*innen ab. Anmelder Klar verabschiedete sich mit: „Ich hoffe, ihr hattet ein schönes Compact Sommerfest“. Und Sellner: „Ich wollte mich noch für die Einladung, für die Organisation bedanken, dass das abgesagte Sommerfest Stößen hier ein Exil gefunden hat.“ Im Nachhinein gab es weitere Andeutungen rechter Teilnehmer, dass die Veranstaltung in Gera schlichtweg ein Ersatz für die verbotene Veranstaltung auf dem Rittergut war. Auf Gerda-Anfrage, warum diese Veranstaltung nicht unterbunden wurde, antwortete die Pressestelle der LPI Gera: „Die angemeldete Versammlung in Gera stand unter dem Schutz des Art. 8. GG. Es handelte sich hier ausdrücklich nicht um eine Veranstaltung analog des verbotenen Compact-Sommerfestes.“

Ein wenig Widerstand
Parallel dazu fand um 15 Uhr am selben Ort eine spontane Versammlung von etwa 75 Personen unter dem Motto „Gera ist bunt, offen und vielfältig“ statt, die kurz nach 18 Uhr endete. Beide Veranstaltungen wurden von der Präsenz von Hunderten von Polizeibeamt*innen und Dutzenden von Transportern begleitet, die das Gebiet beobachteten und durchstreiften.


Die Antifa-Demonstrant*innen standen einige Minuten lang am Eingang des Parkplatzes, als einige Rechte kamen und begannen, sie zu filmen. Die Polizei wies die Demonstrant*innen darauf hin an, zu ihrer eigenen Sicherheit auf die andere Seite des Parkplatzes zu gehen. Gerda hat mit einer der Organisator*innen über die (Un-)Sicherheit gesprochen: „Ich selbst habe bisher noch keine Probleme erlebt. Aber hier in Gera gibt es viele Menschen, die in der Nähe solcher Nazis leben, und sie haben Probleme. Es gab Vorfälle, bei denen sie angegriffen, angeschrien oder sogar Dreck in der Nähe ihrer Wohnungen verteilt wurden. Ich habe zwar keine persönlichen Probleme gehabt, aber viele andere schon.“




Die Antifaschist*innen hielten Plakate und Transparente mit Botschaften gegen Rechts. Einige Rechte kamen hinzu und begannen zu filmen, anscheinend um die Demonstrant*innen zu provozieren. Eine der Organisator*innen ging auf sie zu und hielt ihnen ein Plakat direkt ins Gesicht. Ein junger Neonazi mit Nackentattoo und eine Frau mit einem roten T-Shirt versuchten die Demonstrant*innen zu provozieren. Die Polizei griff jedoch ein, entfernte die beiden gewaltsam und schickte sie zurück.
Zwei Personen auf der Anti-Nazi-Demonstration trugen Kostüme, die dem Kack-Emoji ähnelten. Die Polizei trat an sie heran und forderte sie auf, die Kostüme abzulegen. Im Sinne der Verhüllung ihrer Gesichter stellten die Kostüme einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz dar.



Kritik und Nachwirkungen
Nicht nur die Ermittlungen sind ein Nachspiel der Veranstaltungen. Seitens der antifaschistischen Gegendemonstrant*innen wuchs die Kritik an dem Geraer Ordnungsamt, den Sicherheitsbehörden und an OB Kurt Dannenberg (CDU), der erst am 1. August offiziell in das OB-Amt eingeführt worden ist. Dannenberg war jedoch mehrere Jahre lang als Bürgermeister für das Ordnungsamt zuständig, weshalb er in letzter Zeit vermehrt in Kritik steht.
Die MLPD wittert sogar einen „antikommunistischen Skandal“ und forderte auf Twitter: „OB #Dannenberg muss zurücktreten!“. Die linksextreme Partei hatte am selben Tag ihren Wahlkampfauftakt, der sogar 450 Menschen anlockte. Wie die taz berichtete, hatte Klar das eigentliche Sommerfest als Gegenprotest gegen die MLPD-Kundgebung angemeldet.
Auch Christian Klar ist über das Ordnungsamt verärgert. Während er in der Vergangenheit bei seinen Kundgebungen sehr viel Freiheiten genoss, störten ihn die Auflagen zum Sommerfest. Deshalb verkündete er, seine Montagsdemos nicht mehr anzumelden. Am ersten Montag nach der Veranstaltung wichen seine Leute von den üblichen Routen durch die Innenstadt ab und kamen dabei auch der demokratischen Veranstaltung „Momento – Gutes über die Stadt“ nahe. Am zweiten Montag nach dem Sommerfest verlief wieder alles ruhig.



Eine der Personen, die mit auf der Bühne standen, wurde letzte Woche in einer umfangreichen MDR-Investigativ-Recherche thematisiert. Reichsbürger Frank Haußner steht in Verdacht, Teil einer weiteren Reichsbürger-Gruppe von Heinrich XIII. Prinz Reuß sein. Haußner hatte sich in der Vergangenheit auch öffentlich immer wieder positiv auf Reuß bezogen. Auf der Veranstaltung in Gera verteilte Haußner, der auch eng mit Björn Höcke vernetzt ist, AfD-Flyer.
Warum immer wieder Gera?
Gera hat seit Jahren das Label als rechtsextreme Hochburg, da Rechtsextreme durch Veranstaltungen wie Rock für Deutschland, THÜGIDA und den Montagsdemos viel öffentlichen Raum und Berichterstattung einnehmen und die demokratische Gesellschaft kaum dagegen in Erscheinung tritt. Das führt dazu, dass Gera auch bei Extremisten von außerhalb Beliebtheit erfährt, weil sie sich hier ohne großen Widerstand niederlassen können. Als Beispiel ist das große Reichsbürger*innentreffen im April zu nennen, wo den rund 1000 Staatsgegner*innen nur rund 50 Gegendemonstrant*innen gegenüberstanden.
Gerda hat bei der Stadt nachgefragt, wie sie den Imageschaden, der durch das wiederholte öffentliche Feiern von Rechtsextremisten in Gera entsteht, beheben wollen:
Die Stadt Gera wird sich nicht durch „Rechtsextreme“ treiben lassen, sondern über Berichterstattung, Marketing und Konzentration auf Kampagnen wie z. B. dem Beitritt zur Initiative „Weltoffenes Thüringen“ Sacharbeit für ein positives Image leisten.
Auch wollte Gerda wissen, ob sich die Stadtspitze an friedlichen, bürgerlichen Gegenprotesten, z. B. zusammen mit den Kirchen, beteiligen will. So hatte 2010 der damalige OB Norbert Vornehm die Bürger*innen dazu aufgerufen, an den Gegenprotesten zu Rock für Deutschland teilzunehmen. Hierbei verwies die Pressestelle nur auf die von der Kirche organisierte Veranstaltung „Momento – Gutes über die Stadt“. Die Veranstaltung wird von den Organisator*innen aus der Stadtkirchgemeinde nicht als Gegenprotest, sondern eigen stehende Veranstaltung verstanden.
Da die Kritik im Rahmen dieses Sommerfests so groß war, informierte die Stadt auch auf ihrer Internetseite zum Versammlungsgeschehen und verteidigte die Arbeit ihrer Versammlungsbehörde:
Die Versammlungsbehörde steht – wie die gesamte Stadtverwaltung – unter einem strengen Neutralitätsgebot. Sie trifft dabei jede ihrer Entscheidungen auf der Grundlage des Grundgesetzes, der Thüringer Verfassung sowie des Versammlungsgesetzes. Eine strikte Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der den Einsatz einer staatlichen Gewalt nur bei wirklicher Dringlichkeit vorsieht, ist eine weitere Grundlage ihres Handelns.
Fotos: Gordyaen Benyamin Jermayi, Nico Kuhn & Jacob Queißner