Gerda: Wo sehen sie in Gera das meiste Potenzial?
Julian Vonarb: Wo sehe ich in Gera das meiste Potenzial? Das meiste Potenzial in unserer Stadt ist, dass wir eine fantastische Infrastruktur haben. Wir sind um die 100.000 Einwohner, inklusive Zweitwohnsitze, und haben eine komplette Infrastruktur. Wir haben einen sehr gut ausgebauten öffentlichen Personennahverkehr, wir haben einen Maximalversorger mit unserem SRH-Waldklinikum, wir haben enorm hohen Grünanteil, wir haben eine fantastische Autobahnanbindung. Und wir sind zertifiziert als familienfreundliche Kommune. Heißt, wir kümmern uns insbesondere um Familien. Junge Familien, die gerade Eltern werden, brauchen sich nicht schon drei Jahre vorher melden, ob sie in einem Kindergarten ihren Platz anmelden oder müssen vorplanen, sondern in der Regel schaffen wir es innerhalb von sechs bis acht oder zehn Wochen jedem, der bei uns nach dem Kindergartenplatz fragt, ihn mit einem zu versorgen. Zugegebenermaßen vielleicht dann nicht mit seinem Wunschkindergarten, weil die Kindergärten machen das ja für sich autark. Aber wir haben die Kapazität, schnell Kinder in den Kindergarten zu bekommen. Wir liegen da bei einer Auslastung von 95 %.
Aber wir haben die Kapazität, schnell Kinder in den Kindergarten zu bekommen.
Unser Potenzial liegt gerade im Thema Bildung darin, dass wir über 15 Jahre jetzt ein Schulbau-Programm vorangetrieben haben und sehr, sehr weit sind, was unsere infrastrukturellen Hausaufgaben angeht. Und das sind die Potenziale jetzt erstmal für die Gesamtstadt als lebenswerte Stadt, die wir haben. Und die gilt es, und da kommen wir dann zu den Herausforderungen und Nachteilen, die damit verbunden sind, die gilt es auch mal strukturiert nach außen zu bringen. Wir haben seit rund 10 Jahren kein Stadtmarketing mehr, das wurde komplett eingestellt. Also, wie bringe ich den Menschen bei, für die eigene Bevölkerung, was haben wir eigentlich alles und dass nicht alles schlecht ist? Über das Stadtmarketingkonzept nach außen gehen, den Menschen in der Stadt ins Bewusstsein zu rufen, um dann auch im nächsten Schritt das dann auch nach außen zu vermarkten. Tourismuskonzept, Standort-Marketingkonzept, alles, was da noch hinten dranhängt.
Woran leidet Gera noch, was in der nächsten Amtszeit zu ändern wäre?
Ich habe in meiner Amtszeit immer versucht, über eine extreme Positiv-Kommunikation genau das, was ich jetzt schon mal angesprochen habe, was wir alles schon haben, was aber bei vielen im Bewusstsein gar nicht da war, dass es tatsächlich was Besonderes ist, oder dass es andere Städte nicht haben. Machen wir mal noch ein praktisches Beispiel: jede Familie, Mann, Frau, jede Gemeinschaft, die ein Kind bei uns bekommt, bekommt in der Regel Besuch. Nicht über Jugendamt oder über Behörde, sondern es gibt eine Initiative, die sagt, wir besuchen die Menschen und zeigen denen auf: Was kann ich als junge Familie für Angebote überhaupt in Anspruch nehmen? Da beneiden uns andere Städte drum. Also, deswegen habe ich über sechs Jahre enorm versucht, offensiv zu kommunizieren. Sehr offensiv und viel, insbesondere in die Stadtgesellschaft hinein und das gilt es jetzt fortzusetzen, weil natürlich gerade mit dem Blick auf Geschehnisse, die von rechts kommen, haben wir jetzt gerade wieder einen richtigen Schlag ins Genick bekommen, wo wir in der Außendarstellung als komplett blau-braune Stadt dargestellt werden.
… Mit dem Blick auf Geschehnisse, die von rechts kommen, haben wir jetzt gerade wieder einen richtigen Schlag ins Genick bekommen …
Wie ist der Status mit den rund 200 unbeschulten Kindern und dem Lehrer*innenmangel?
Da gab es erste Erfolge, wobei wir da noch nicht am Ende sind. Vorausgeschickt müssen wir uns klarmachen, der größere Engpass zur Beschulung ist nicht die Infrastruktur, die Schulen und Schulgebäude, sondern das sind die Lehrerinnen und Lehrer. Zuständigkeit für Lehrerinnen und Lehrer hat das Bildungsministerium, hier vor Ort durch das Schulamt. Also in der komplett anderen Behördenstruktur. Nichtsdestotrotz noch mal, wir haben mit der Erweiterung der Ostschule zusätzliche Kapazitäten geschaffen. Wir werden jetzt massiv auch mit dem Neubau von Bildungscampus Lusan deutlich höhere Flexibilität haben, was Räumlichkeiten angeht. Wir haben jetzt erst auch mit Beschluss des Stadtrates über die Änderung des Schulnetzplanes eine Erweiterungsmöglichkeit geschaffen, dass wir zusätzliche Räume zur Verfügung stellen können. Das ist unsere Strecke und wir sind dazu aber auch schon lange und immer im Dialog mit dem Schulamt. Darüber hinaus, was das Thema Lehrergewinnung angeht, haben wir auch ohne primäre Zuständigkeit jetzt von uns als Stadt aus zweimal ein Online-Format gemacht, im Sinne von Bürgerdialog über Facebook, gemeinsam mit dem Schulamt, gemeinsam mit Lehrern, wo wir explizit geworben haben für Seiten- und Quereinsteiger. Das erste Mal im Herbst 23, das zweite Mal jetzt im Frühjahr 24. Ergebnis übrigens der Veranstaltung im Herbst 23 war, dass wir aufgrund dieser, ich nenne es mal Facebook-Fragestunde, gezielt für Seiten- und Quereinsteiger, hatten wir fünf Anfragen. Wirklich konkrete Anfragen, wo wir auch als Dienstleister fürs Schulamt fungiert haben und die Informationen bei uns im Amt für Bildung aufgesammelt haben und dann kanalisiert ans Schulamt gegeben haben. Das Ergebnis waren fünf Interessenbekundungen und von diesen fünf sind tatsächlich heute zwei Beschäftigte des Bildungsministeriums als Seiten- und Quereinsteiger.
Hier in Gera?
Hier in Gera!
Gibt es konkrete Pläne zur Verbesserung des Images der Stadt?
Natürlich. Gerade jetzt, bezogen auf das Stadtmarketingkonzept, das war eine der ersten Maßnahmen, die ich zu meiner Amtszeit begonnen hatte. Und nach Bildung eines zeitweiligen Ausschusses für Stadtmarketing sind wir jetzt in Bezug auf unser Stadtmarketingkonzept bei ungefähr 85 % der Wegstrecke, die es zu gehen galt. Wir werden jetzt noch im zweiten Halbjahr dem Stadtrat das Tourismuskonzept, das auch quasi 10 Jahre brach lag, ein aktualisiertes Tourismuskonzept zur Beschlussfassung vorlegen. Im Ergebnis dieser ganzen Arbeitsgruppen und Workshops, die mit viel Beteiligung aus dem Stadtrat waren, aber auch mit Experten aus der Zivilgesellschaft. Da waren in diesen einzelnen Workshops insgesamt über 70 Personen involviert, also von Mitarbeitern aus der Verwaltung, Vertretern aus dem Stadtrat, aber bis hin zu Vertretern von den Gästeführern, Vertretern von der Hotellerie, Vertretern von der Kultur. Einfach um das Bild für das Tourismuskonzept auch so zu machen, dass es für uns passgenau ist.
Zum Image der Stadt gehört ja auch die rechtsextreme Raumnahme. Wie wollen sie die eindämmen?
Das begann ja mit der deutlichen Sichtbarkeit in der Coronazeit, mit den sogenannten Montags-Spaziergängen. Als das begann, hatte ich auch von Anfang an gesagt: Das sind nicht alles Rechte und Rechtsradikale, die dort marschieren, aber der Initiator, der war von Anfang an diesem Spektrum zuzuordnen. Jetzt laufen die immer noch und ich glaube, heute muss jeder wissen, wen man hinterherläuft. Und da stellen wir ja auch fest, dass viele gar nicht aus der Stadt sind, sondern mit dem regionalen Einzug, die das für sich als Plattform identifiziert haben. Wenn man sich die öffentlich zugänglichen Videos anschaut, was dort an Reden geschwungen wird, da kann man nur mit dem Kopf schütteln. Das hat mit dem, was sie selber propagieren, für ein Miteinander oder so, nichts mehr zu tun. Die beschimpfen Kirchenvertreter als Kinderficker und Kriegstreiber, also die schüren selber den Hass. Ich hatte mir schon lange gewünscht, dass auch die Zivilgesellschaft mehr mit aufsteht, weil das nicht immer nur sein kann, dass dann einzelne Personen, ob ich jetzt als Oberbürgermeister oder andere, sich hinstellen und sagen, das ist nicht Gera. Sondern die Stadt muss Gesicht zeigen. Ich weiß von vielen hier aus der Innenstadt, von Händlern und Gastronomen, die sagen, der Montagnachmittag, den haben sie jetzt inzwischen abgehakt für sich. Da sind kaum noch Leute in der Stadt, gerade im Sommer in der Außengastronomie. Die sagen: ‚Mit den Demonstranten, das macht mein Gast einmal mit und dann kommen sie nicht mehr‘. Da hätte ich mir von denen gewünscht, dass sie das auch mal lautstark sagen, indem sie vielleicht zur Presse gehen und sagen, das kekst uns an. Auf die Frage, warum sie es nicht tun, sagen sie dann, sie haben Angst vor der Gruppierung. Aber wir haben einen Lichtblick. Seit Jahresbeginn gibt es die Veranstaltungsreihe „Momento“, getragen durch den Arbeitskreis christlicher Kirchen und noch zwei weiteren kirchlichen Gruppierungen, wo jeden Montag Gutes über die Stadt erzählt wird. Positiv-Botschaften. Und einer der mit Initiatoren, der das regelmäßig begleitet, das ist der Superintendent der evangelischen Kirche, Hendrik Mattenklodt. Der hat es auch mal gesagt, wie der Ursprungsgedanke zustande kam. Nämlich indem ich mehrfach auf ihn zugegangen bin und gesagt habe: lasst euch, gerade an der Salvatorkirche, euch doch eure Kirche und euren Platz nicht nehmen von dem Rechtsaußen, der das sonst in der Stadt montags immer organisiert. So, das kann ich mir schon als kleinen Erfolg auf meine persönliche Fahne schreiben, dass dank meiner Initiative jetzt dort etwas entstanden ist, wo viele Menschen sich jeden Montagabend treffen und gutes über die Stadt hören. Und dann, davon ist auszugehen, weil ich es auch tue, am nächsten Tag, wenn man wieder zurückkommt auf seinen Arbeitsplatz, darüber berichten.
Aber andere Pläne gibt es nicht? Es gibt ja noch mehr rechte Strukturen. Inwiefern gibt es auch Handlungsmöglichkeiten für den Oberbürgermeister?
Die Handlungsmöglichkeiten ergreifen wir. Ich mach's mal an einem praktischen Beispiel, mit der Situation um den Park der Jugend, landläufig bekannt als Knochenpark. Ab dem 31. Mai arbeiten wir jetzt dort im Sinne eines Quartiersmanagements gemeinsam und über die OTEGAU, mit einer Person, die sich genau diesen Themen widmet. Also soziale Brennpunkte in der täglichen Betreuung, im täglichen Tun auch vor Ort zu sein. Und wenn Sie so wollen, also präventiv im Sinne von Straßensozialarbeit, ist jetzt der falsche Begriff, aber genau so mit Quartiersmanagement zu arbeiten und das noch zu intensivieren. Also, da gibt's Dinge, die man als Stadt tun kann und die tun wir.
Wird die Stadtverwaltung Angebote für Jugendliche, egal migrantisch oder Deutsch, im Stadtzentrum schaffen und wie soll generell eine bessere Unterstützung der Jugend aussehen?
Also das, was ich jetzt gerade als Beispiel genannt habe, rund um den Knochenpark der Jugend, wo ja ein Treffpunkt für Jugendliche unterschiedlichster Couleur ist, das ist jetzt ein neues Angebot, was wir schaffen werden. Ich habe gerade in den Diskussionen mit dem Jugendrat, da kam die Frage auf: ‚Könnte man nicht den Hofwiesenpark länger auflassen oder über Nacht ganz auflassen?‘ Dass sie einfach Verweilräume haben, auch in der Stadt. Das würde ich von heute auf morgen machen, wäre der Vandalismus nicht so hoch, der dann dadurch entsteht. Weil je später der Abend, desto flüssiger die Getränke und nicht mehr nur eine Apfelsaftschorle, sondern da ist dann leider natürlich das Ergebnis, dass wir aufgrund der Erfahrung … Die Toiletten sind da inzwischen geschlossen. Die an der Sparkassenbühne ist dauerhaft verschlossen. Warum? Weil wir haben die renoviert, haben die aufgelassen und nach zwei Tagen war die Hälfte kaputt geschlagen. Dann wieder gemacht, dann wieder aufgemacht und nach einer Woche war es wieder so. Also das ist dann, wenn wenige missbräuchlich agieren, dass dann die Allgemeinheit darunter leidet. Deswegen ist das ein Thema, das wir schon ernst nehmen, aber aktuell keinen Lösungsansatz haben. Aber seit zwei Jahren gibt es übrigens eine Kinder- und Jugendkonferenz. Findet im Herbst statt, das ist ein Format, wo wir ja auch ganz gezielt über Beteiligung ganz vieler Ämter bei uns in der Verwaltung, also nicht nur über die Kinder und Jugendbeauftragte, sondern über die unterschiedlichsten Ämter, auch, wenn es um Stadtplanung geht, Stadtentwicklung, um Spielplätze, Freizeitmöglichkeiten, wo wir mit den Kindern und Jugendlichen auch mal ganz gezielt deren Bedarfe heraushören wollen. Weil es mir wenig hilft, wenn mich jetzt draußen auf der Straße einer anspricht und sagt, das hätte er gerne. Dann ist es eine einzelne Meinung und wir brauchen ja als Entscheidungsgrundlage ein Gesamtbild. Und das haben wir jetzt schon zweimal gemacht und das fließt dann tatsächlich in die weitere Arbeit über unterschiedlichste Bereiche in der Verwaltung mit ein. Und wir haben auch schon einiges geschafft im Sinne der Attraktivität; wir haben so eine hohe Veranstaltungsdichte, gerade auch für die Jüngeren in unserer Stadt. Da beneiden uns andere Städte unserer Größe tatsächlich darum. Jena hat nicht so viel. Viele kommen inzwischen, weil sich das die letzten zwei, drei Jahre auch rumgesprochen hat, aus Jena und besuchen unsere Events. Das müssen wir noch mehr nach vorne bringen, aber ansonsten also viel mehr im Sinne von Veranstaltung gar nicht, weil, wenn man sich den Veranstaltungskalender zwischen Mai und Oktober anschaut, ist eigentlich jeden Tag, jedes Wochenende irgendwo was los. Auch für unterschiedliche Altersgruppen. Man muss halt auch selber ein bisschen schauen und nicht nur sagen „liefert mir die Infos nach Hause auf die Couch und tragt sie mir schon hin und dann entscheide ich in meiner göttlichen Güte“. Wir können nur Angebote machen und dann auch Resonanzen testen. Und wenn man ein Beispiel nimmt, mit dem „Geht Raus“ Festival, was wir letztes Jahr das erste Mal ja gemacht haben. Elektromusikfestival mit mehreren tausend Besuchern, auch unterschiedlichen Altersklassen, dann sieht man auch, dass neue Formate angenommen werden.
Und was über Veranstaltungen hinaus geht, also Jugendclubs zum Beispiel?
Also wir haben diese Clubs, also wir haben Jugendclubs, wir haben Angebote in Lusan, wir haben Angebote in Bieblach in Bieblach-Ost, Jugendhaus Shalom z. B.; der Jugendrat trifft sich regelmäßig, wenn man sich auch irgendwie gesellschaftspolitisch mit einbringen möchte. Nehmen Sie den Skaterpark direkt am Hofwiesenpark, die machen sensationelle Arbeit. Da ist quasi jeden Tag Betrieb und wir haben 114 Sportvereine. Dann im kulturellen Bereich, die Theaterfabrik feiert gerade 30-jähriges Jubiläum, da kann man beim Theater reinschnuppern. Also Angebote, glaube ich, gibt's viele, die Frage ist, kommunizieren wir die schon ausreichend und zielgruppengerecht? Und da mag sein und da sind wir wieder, aber beim Stadtmarketing, bei Marketing der Stadt insgesamt, da gibt's noch Luft nach oben.
Also Angebote, glaube ich, gibt's viele, die Frage ist, kommunizieren wir die schon ausreichend und zielgruppengerecht?
Also, Gera noch besser vermarkten?
Genau. Das, was wir haben, besser nach außen tragen. Am Ende des Tages ist dann mein Problem als Verwaltung: Ich brauche auch einen, der das tut.
Wird es einen Integrationsbeirat geben?
Also, ich glaube, manchmal ist zu Tode beraten auch irgendwann gestorben. Wir wissen ja, wo unsere Probleme sind und Tatsache ist, das hört wiederum der ein oder andere auch wieder nicht gerne, unser System ist bezogen auf die Integration überlastet. Das hat nichts damit zu tun, dass ich Menschen anderer Hautfarbe oder anderer Nationalität oder anderer Religionen nicht mag, im Gegenteil. Aber unser System ist überlastet, das heißt immer, wenn ich Migranten habe, dann beschäftige ich oftmals das Sozialamt damit, oftmals das Jugendamt damit, dann noch die Ausländer-Behörde, in Teilen noch das Einwohnermeldeamt, man darf nicht vergessen, wir haben innerhalb von zwei Jahren einen Zuwachs von 3200 Menschen aus der Ukraine gehabt. Nehmen Sie die mal aus den Zahlen raus, dann wissen Sie, wie viel wir tatsächlich weniger an Menschen in der Stadt werden. Ich habe das gleiche Problem wie Kollege Bausewein in Erfurt; ich habe eine Ausländer-Behörde, die ist mit ca. 15 Personen besetzt. Ich weiß, ich bräuchte 40 bis 50 jetzt. Das heißt, sagen wir mal 30 Personen, die da mehr reinmüssen. Eine Stelle in der Verwaltung kostet im Durchschnitt über alles, mit allem 70.000 €, mit allen Lohnnebenkosten, alles, was dazu gehört. Rechnen Sie das mal um, mit 30 Mitarbeitern, da hätte ich plötzlich zwei Millionen Euro mehr Kosten. Und ich finde die Leute ja gar nicht! Also, ich habe ganz viele unbesetzte Stellen. Das ist schon ein Nadelöhr. Da laufen dann Arbeitsprozesse langsamer, Bearbeitungszeiten verlängern sich enorm und dann bekomme ich vorgehalten, die Ausländer-Behörde sei ausländerfeindlich, weil sie so langsam ist. Nee, ist sie nicht. Die machen alle nen hervorragenden Job, aber die sind halt massiv überlastet anhand der Fallzahlen. Das geht weiter übers Jugendamt, Sozialamt, dann bei den Kindergärten geht's gerade noch so. Eine Auslastung von 95 %, da konnten wir bisher alle unterbringen, aber mit starken Ungleichgewichten. Die sind nicht gleich verteilt auf alle Kindergärten, sondern wir haben, leider sind die Kindergärten alle in privater Trägerschaft, Kindergärten mit einer Ausländerquote von 5 % oder 3 % oder 6 und wir haben entsprechend wenige, die haben 50 %. Das sorgt dann auch wieder für Unwucht, weil im Kindergarten die Erzieherin, wenn in der Gruppe von zehn Kindern eins ist mit einer anderen Sprache, also höherer Betreuungsaufwand, wobei das geht ja noch, aber wenn ich jetzt in der Kindergartengruppe bin, wo von 10 Kindern 6 unterschiedlichste Sprachen sprechen, das ist ja ein erhöhter Aufwand. Dann geht's weiter bei den Eltern, also bei den Älteren, die Deutsch lernen sollen. Wo kriege ich die ganzen Kurse her? Die Lehrer, die sagen, wir machen Deutschkurse? Dann ist wieder das Nadelöhr in der Schule. 3180 Ukrainer sind inzwischen bei uns, davon knapp die Hälfte Kinder, also unter 1500 in der Altersklasse 0 bis 18. Da ist ein großer Teil, der beschult werden muss. Das Delta, das wir hatten, diese 200, wenn Sie die Ukraine rausrechnen, gäbe es dieses Delta nicht. Aber Krieg und Flüchtlinge kann ich halt nicht planen.
Es gibt es ja einige Leute, die sagen, dass die Stadtverwaltung zu aufgebläht ist. Aber irgendwie scheint dann doch noch zu wenig zu sein?
Ich habe ein Stellengerüst von ca. 1300 Stellen. Tatsache ist, von diesen 1300 Stellen sind aktuell 240 nicht besetzt, also ein knappes Viertel. Das schlägt sich dann durch, dass die anderen mehr arbeiten müssen, weil keine Stelle in diesem Stellenplan ist, ohne dass es einen sachlichen Grund gibt. Also die anderen müssen mehr arbeiten, das heißt, deren Arbeitsbelastung steigt, wenn die Arbeitsbelastung steigt, steigt genauso die Anfälligkeit auf Krankheit. Wenn ich das zusammenzähle, jeder hat Anspruch auf 30 Tage Urlaub, durchschnittliche Krankheitstage dazu … ich habe heute Morgen um 10 Uhr mal geschaut, das kann ich sehen, wie viele Mitarbeiter anwesend sind. Eigentlich ist keine Ferienzeit im Moment, also 1300 Stellen, 240 freie Stellen über Teilzeitmodelle, in Köpfen sind es 1200, die wir haben. Frage, wie viele waren heute um 10 Uhr angemeldet, im Sinne von ich bin arbeiten?
500?
Hmm, knapp 600. Ein ganz normaler Wochentag und eine ganz normale Uhrzeit, also wo keiner sagt, der fängt spät an oder ist gerade schon in der Mittagspause. Das heißt grob, die Hälfte ist nicht da und trotzdem läuft die Arbeit weiter. Wir haben ein Problem bei der Digitalisierung. Da hingen wir in Teilen hinterher und da, glaube ich, kann man einige Arbeitsprozesse dann dadurch besser machen. Kann auch ein bisschen Personal einsparen. Auf der anderen Seite, mit jedem Fachverfahren, wir haben mehrere hundert Fachverfahren, brauche ich ja irgendeinen, der das betreut. Ich mache mal ein einfaches Beispiel: Belegbuchhaltung kann man schön digitalisieren, das ist aber eine niedrige Entgeltgruppe. Ja, dann kann ich vielleicht zwei Leute einsparen. Brauche aber einen ITler, der, ich sage jetzt mal, das Doppelte verdient, was einer in so einer niedrigen Entgeltgruppe hat. Also der große Spareffekt insgesamt wird dadurch nicht entstehen, weil die ganzen Fachverfahren, Kosten, Lizenzgebühren für Software und und und und sind erhöhter Aufwand. Ich habe mit einem IT-Experten aus Leipzig kürzlich gesprochen. Dem haben wir mal dargestellt, wo stehen wir als Verwaltung und dann hat er gesagt, wir sind im Vergleich zu vielen anderen Verwaltungen unserer Größe schon recht weit. Ich sage, ich bin noch Steinzeit in vielen Bereichen, aber er sagt, was er kennt, weil er Städte, Landkreise, selbst unterschiedliche Ministerien in unterschiedlichen Bundesländern betreut, dass wir schon einiges geschafft haben.
Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung klappt oder gibt es da intern Schwierigkeiten?
Grundsätzlich macht der klassische Verwaltungsmitarbeiter seine Arbeit. Und gerade in Gera bin ich seit der Wende der sechste Oberbürgermeister. Das spielt an sich erstmal keine Rolle, wer gerade in der Verwaltungsspitze ist. Der bekommt mich ja im täglichen Geschäft auch gar nicht zu sehen. Also da ist kein Kontakt, dafür gibt es einen Teamleiter, dafür gibt es einen Abteilungsleiter, dafür gibt es einen Amtsleiter und einen Dezernenten. Also da gibt's ganz viele Führungsebenen dazwischen. Und ein Verwaltungsmitarbeiter weiß, wie er grundsätzlich zu arbeiten hat. Meine Wahrnehmung ist, dass gerade in der Verwaltung Mitarbeiter sich gerne absichern möchten. Das heißt, wenn eine E-Mail verschickt wird, schicke ich die nicht nur ihnen, sondern schicke sie noch sieben anderen Leuten, die vielleicht davon betroffen sein könnten. Dann kann ich ja sagen: „Nee, ich habe es ja doch geschickt“. Das führt dazu, dass viele dann jeden Tag Dutzende von E-Mails lesen, die sie eigentlich gar nicht lesen müssten. Das ist auch etwas, daran werde ich arbeiten. Dass wir das wirklich reduzieren, dass die Leute im direkten Austausch sind und vielleicht nicht eine E-Mail schreiben, sondern vieles kann man auch telefonisch klären, geht manchmal auch. Dass man dadurch Effizienzpotentiale mit hebt, um schneller zu sein. Und sie sollen bitte Entscheidungen treffen. Viele Mitarbeiter haben Ermessensspielräume und die sollen Sie bitte nutzen. Und da darf auch jeder meinetwegen einen Fehler machen. Niemand ist unfehlbar. Er sollte nur den gleichen Fehler nicht zwei oder drei Mal machen, sondern nach dem ersten Fehler muss eine Lernkurve einsetzen.
Und da darf auch jeder meinetwegen einen Fehler machen.
Da jetzt ihr Vize nach ihrer Stelle strebt, fühlt man sich da, als ob man einen schlechten Job gemacht hat?
Er ist seit 10 Jahren in dieser Verwaltung, also vier Jahre länger als ich. Er ist seit 10 Jahren quasi der zweite Mann in der Stadt, das heißt, er hat seit 10 Jahren Verantwortung und das nicht wenig. Grundsätzlich: wir leben in der Demokratie, jeder hat das Recht darauf. Sie könnten auch sagen oder hätten sagen können, Sie treten an. Damit kann ich professionell umgehen. Es war halt verwunderlich, weil er immer, auch zu meinem Amtsantritt, gesagt hat, „brauchst dir keine Sorgen machen, ich werde nie als Oberbürgermeister kandidieren“ und insofern war es dann letztes Jahr für mich verwunderlich ist in der Zeitung zu lesen, obwohl ich ihn am Tag zuvor noch gesehen habe, dass er gegen mich antreten will. So what? Also, da bin ich Profi genug.
Obwohl er damit auch Sie und ihre Arbeit kritisiert?
Er schreibt jetzt auf Plakate 'Ordnung und Sicherheit, Vonarb was ist passiert?' Seit 10 Jahren ist das sein Ressort. Oder wie das Thema Bezahlkarte, er schreibt Bezahlkarte jetzt Ausrufezeichen. Ich sag’ immer, man sollte mal grundsätzlich ein Mü mehr nachdenken. Wir sind in Thüringen 22 Gebietskörperschaften, also 17 Landkreise, fünf kreisfreie Städte und genau drei haben es bis jetzt eingeführt, Greiz, Saale-Orla-Kreis und Eichsfeld. Warum nur drei? Sind die anderen 19 zu doof? Nee, es gibt Gründe, warum wir es noch nicht getan haben, weil ich das Geld der Stadt nicht irgendeiner litauischen E-Bank gebe, wo das im Moment dann liegt, wenn die Karten ausgegeben werden, weil der Zahlungsanbieter nicht aus Deutschland kommt, deswegen sperre ich mich. Und im Übrigen in seinem Verantwortungsbereich die Kämmerei auch. Also seine eigenen Leute. Wenn er meint, das halt draufschreiben zu müssen … das letzte Mal, beim Wahlkampf vor sechs Jahren, ich habe immer nur den Menschen die Geschichte erklärt, warum mich. Nicht warum den anderen nicht, sondern warum ich. Jetzt muss ich mich ein bisschen für die nächsten oder letzten Tage ein bisschen anpassen, was die Strategie angeht und mich halt auch vom Niveau ein bisschen nach unten korrigieren, aber wenn es hilft… Ganz ehrlich, wenn das die Botschaften sind, dann muss ich das halt auch ein bisschen plumper machen, damit es besser verstanden wird.
Zurück zu ihren Inhalten. Haben sie Pläne zur Bekämpfung von Armut und Verbesserung des sozialen Klimas?
Ja, natürlich, ganz viele. Soziales Klima bekommen wir dann hin, wenn wir diese Ungleichgewichte, Stichwort auch Migration, wenn wir da auch den Menschen vermitteln können, nur weil Migrant da ist, hast du nicht weniger Geld in der Tasche oder weil der Migrant da ist, geht's deinem Sportverein zu schlecht. Praktisches Beispiel: es gibt Menschen, die sagen, die Ausländer bekommen Geld und die Umkleidekabine auf unserem Sportplatz ist 40 Jahre alt. Ja, aber für die Ausländer habt ihr das Geld, für uns nicht. Dann sage ich okay, dann drehen wir mal das Rad der Zeit zehn Jahre zurück. Vor 10 Jahren gab es noch keine Ausländer bei uns. Die Flüchtlingskrise begann 2015. Da frage ich immer: Ist bis 2015 ein Euro reingesteckt worden? Nee, also da war es ja auch schon liederlich. Da kann man dann Verständnis schaffen, dass Politik, jetzt nicht in der Stadt, aber in Erfurt und Berlin halt anders funktioniert. Die fangen dann an, Probleme zu lösen, wenn sie da sind. So funktioniert Politik im Großen. Was kann man tun? Wir setzen übrigens enorm viele Schulsozialarbeiter ein, da haben wir eine hohe Dichte. Jede Schule hat einen, wir ergänzen jetzt noch in den Schulen mit Schulassistenzen, um die Lehrer zu entlasten. Das machen wir also gerade. Was das Themenfeld angeht, machen wir gerade präventiv einiges. Und es gibt Angebote, wie das Shalom, Bieblach, Lusan, Skaterpark, das sind ja überall Pädagogen mit unterwegs.
Die sind aber teilweise auch sehr überlastet.
Ja, aber in der Tonhalle haben wir das Angebot vom Jugendrat, also nicht nur, dass der Jugendrat sich trifft, sondern wo auch Öffnungszeiten sind. Ich glaube, wenn wir insgesamt mehr Leute haben, die arbeiten, wenn es den Menschen insgesamt besser geht durch eigene Arbeit, dann kriegt man auch die soziale Unwucht besser weg. Aber mit einer Ausländerquote von 10 % aktuell funktioniert es nicht. Und im Übrigen, wir hatten über die letzten Jahre einen starken Anstieg der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und es waren in dem Anstieg zu zwei Dritteln alle Ausländer. Das sind die, die man im Tagesbild nicht sieht, weil 13.000 Ausländer bei uns in der Stadt sind. Man sieht die, die halt keine Arbeit nachgehen, aber die fallen halt auch aufgrund Hautfarbe, Aussehen oder manchmal leider auch durch Verhalten auf.
Was ist Ihre größte Errungenschaft der letzten sechs Jahre?
Meine größte Errungenschaft? Das ist jetzt die Frage, von welchem Blickwinkel aus man das betrachtet, was für die Menschen interessant ist. Also, ich mache Beispiele: tatsächlich meine Errungenschaft ist, ich habe quasi in meiner ersten Arbeitswoche den Auftrag gegeben „Wir stellen unsere Haushalte anders auf, nämlich ausgeglichen und ohne Minus“. Habe ICH gesagt und jetzt haben wir die Haushaltskonsolidierung beendet. Ein Beispiel. Zweites Beispiel: wir haben die Theaterfinanzierung bis ins Jahr 2032 gesichert. Drittes Beispiel: Wir haben den Bereich Veranstaltungen, Events, Leben in der Stadt massiv ausgebaut. Viertes Beispiel: großer Beschluss, ganz, ganz großer Beschluss, erstmals seit der Wende gibt es eine Beschlusslage des Stadtrats, was passiert aus dem Kultur- und Kongresszentrum. Erstmals seit der Wende, gefasst im Oktober 2023 mit einem einstimmigen Stadtratsbeschluss. Keine einzige Gegenstimme an dem Abend, das heißt, wir wissen jetzt, wir können und dürfen als Verwaltung darauf hinarbeiten, das KuK mal zu sanieren. Davor gab es nie eine Beschlusslage dazu. Will der Stadtrat das überhaupt? Wenn wir das tun, werden wir 70 bis 80 Millionen Euro brauchen. Aber da ist der Vorteil, das ist ein Objekt, das uns gehört. Da brauchen wir keinen Dritten zu fragen, wir müssen die Gelder jetzt organisieren und dann können wir damit Innenstadtentwicklung machen. Fünftes Beispiel Museen. Wir haben fünf Museen, wir haben das erste Mal seit der Wende einen krass konkreten Beschluss: wie sieht die Museumslandschaft in den nächsten Jahrzehnten aus. Mit einem Museumskonzept, einstimmig beschlossen im Oktober 2023. Schulbau, neben der Tatsache, dass wir das bestehende Schulbauplankonzept fortgesetzt haben, habe ich das größte Schulbau-Investitionsprojekt seit der Wende, mit 35 Millionen Euro für den Bildungscampus in Lusan, mit auf den Weg gebracht. Ergänzt mit einem Turnhallen-Neubau, mit einer Zwei-Felder-Turnhalle. Nicht nur, damit Schüler dann drin rumhüpfen, sondern dass man das multifunktional nutzen kann, um den Stadtteil zu stärken. Das ist ein Brummer.
Und gibt es Fehler und Versäumnisse, die sie sich eingestehen?
Ja, die passieren jeden Tag. Versäumnisse, da blutet mein Herz. Das ist, dass ich nicht geschafft habe, das Tietz-Kaufhaus in eine Zukunft zu führen. Warum? Weil wir Fördermittel hatten, knapp 6 Millionen. Wir waren dann am Verhandeln, wirklich sehr intensiv. Erst über Miete, dann über den möglichen Kauf mit dem Eigentümer, um das Projekt dann voranzutreiben und da bin ich gescheitert. Warum? Weil am Ende des Tages mehrere Faktoren zusammengekommen sind. Einer der Hauptknackpunkte war der Preis. Der Eigentümer des Objektes hat am Schluss einen Preis von 5,8 Millionen aufgerufen. Das war genau der Preis, der uns als Fördermittel zur Verfügung gestanden hätte. Da war seine Logik: Er bekommt 5,8 Millionen, also zahlt ihr ja quasi nichts dafür. So einfach ist es aber nicht, insbesondere dann, wenn man … Ich mache es mal anders. Stellen Sie sich vor, Sie wollen ein Auto kaufen. Sie wissen, das Auto hat einen Wert von 30.000 Euro und ihr Gegenüber sagt, ich möchte 500.000 dafür. Dann können Sie es kaufen oder Sie können es auch lassen. Und da wir hier mit Steuergeldern arbeiten, war dann dort tatsächlich Ende. Das ist so gefühlt auf meiner persönlichen Agenda; neben der Tatsache, dass alles sehr lange dauert in der Verwaltung, war das mein größter Schmerz gesagt zu haben, ich will das Ding wieder öffnen. Aber wenn ich dann von Dritten abhängig bin, geht es halt nicht. Und deswegen ist das mein größter Schmerz. Das KuK gehört uns, wir haben die Hoheit rüber, jetzt können wir arbeiten und Fördermittel akquirieren, um uns das leisten zu können. Aber da kann uns keiner mehr reinreden.
Gibt es für die Stadtverwaltung Workshops oder Angebote zum Thema Diskriminierung?
Ja, da gibt’s unterschiedliche Formate dazu.
Auch verpflichtend?
Verpflichtend glaube ich nicht, aber für alle, die mit den Zielgruppen auch zu tun haben, gibt es Formate.
Wie sehen sie realistisch die Zukunft von Gera, mit allen Faktoren? Also nicht nur so im Wahlkampf schöngeredet, sondern: das kann jetzt in den nächsten paar Jahren ändern?
Also das Problem ist, unabhängig jetzt von Wahlkampf oder nicht, wir haben hier einen großen Teil der Menschen, die enorm defizitorientiert sind. Das heißt, die sehen immer nur das Negative und sehen nicht das Positive. Realistisch, wir sind eine ganz normale Stadt wie Tausende von anderen Städten auf diesem Planeten auch. Das heißt, wir werden nicht von heute auf morgen die Stadt komplett umkrempeln können. Deswegen habe ich ja auch im Wahlkampf gesagt, die Hausaufgaben sind eigentlich klar für die nächsten 10 bis 15 Jahre. Was sind die Hausaufgaben? Eine zum Beispiel Kultur und Kongresszentrum, das wollen wir von heute aus in sieben Jahren geschafft haben. In sieben! Die andere Hausaufgabe: Wir haben Investitionsstau in unsere Straßeninfrastruktur von zweihundert Millionen Euro. Rechnet man die Zahl runter auf 10 Jahre, dann müsste man jedes Jahr 20 Millionen investieren. Da fehlt mir gerade die Fantasie, das zu schaffen. Aber das Thema müssen wir angehen und wenn wir es nicht in 10 Jahren schaffen, dann vielleicht in 20 Jahren. Das heißt, auf 20 Jahre ist so viel Geld eigentlich schon verplant, um die Stadt zu erhalten und umzugestalten. Gustav-Hennig-Platz machen wir jetzt, nur als Beispiel. Also, der große Fahrplan ist da. Und unser Hauptproblem ist die Demografie. Das ist unser allergrößtes Problem. Wir sind zu alt, im Durchschnitt 47,8 Jahre. Pro Jahr sterben 1400 Leute plus minus, geboren werden 700. Das heißt, ich habe jedes Jahr ein Minus von 700. Und wir müssen es schaffen, wenn wir so alt bleiben, 700 Menschen, egal von wo auf diesem Planeten, davon zu überzeugen, nach Gera zu kommen, um hier zu leben und zu arbeiten.
Realistisch, wir sind eine ganz normale Stadt wie Tausende von anderen Städten auf diesem Planeten auch.
Aber eher deutsche, weil der Verwaltungsaufwand geringer ist?
Also, wenn einer aus Spanien kommt, ist der Verwaltungsaufwand auch relativ gering. Also jeder, der nach Gera kommt, es erstmal gut, weil er uns eine Stabilität bringt. Junge Menschen sind noch besser, weil sie Familien gründen und Kinder auf die Welt bringen und wir müssten eigentlich vier, fünf Jahre jünger sein, dass wir uns alleine selber erhalten.
Sie sind ja auch hergezogen. Wie haben sie sich in Gera eingelebt?
Mein erster Arbeitstag in Gera war am 1. April 2003; das ist vor über 20 Jahren gewesen. Dann musste ich beruflich kurz weg. Da war ich 2007/8 nicht hier und dann bin ich 2009 wieder zurückgekommen und habe dann, weil wir in Gera keine passende Wohnung gefunden haben, in Bad Köstritz gewohnt. Aber hier gearbeitet und das komplette soziale Leben hat sich eigentlich zu 70 % ich hier abgespielt. So und ja, ich bin zugezogen, ich bin nicht arisch Gersch in der 11. Generation, aber das sind alles Attribute, die mich nicht interessieren.
In kurzen Worten, warum sollte man in der Stichwahl für sie stimmen?
Schlicht und ergreifend, weil ich seit der Wende der sechste Oberbürgermeister bin und ich glaube gerade auch für Verwaltung, für die ganzen Abläufe in der Verwaltung, für Ansprechpartner mit dem allem was mit den Verbänden, die man so drumherum hat, die ganzen Konstrukte, die würden sich wieder auf jemanden neuen einstellen müssen und ich glaube nicht, dass es gut ist, Wenn man dann einen hat, der alles von vorne anfängt. Bei dem Wechsel, den ich von Frau Dr. Hahn zu mir vollzogen habe, habe ich übrigens auch alles erstmal planmäßig weiterlaufen lassen und nichts gestoppt. Ich glaube, es tut der Stadt gut, wenn mal die gleiche Person in der Stadt aktiv ist, auch über zwei Amtszeiten. Noch mal: Die Hausaufgaben sind bekannt, weil die auch für einen anderen kommt, nicht die anderen. Also da muss trotzdem der Bildungscampus gebaut werden, das sind trotzdem noch 200 Millionen Infrastruktur Straßen zu machen. Es ist trotzdem noch das Kultur- und Kongresszentrum zu sanieren bis 2031, also die großen Blöcke sind alle da.
Ich glaube, es tut der Stadt gut, wenn mal die gleiche Person in der Stadt aktiv ist, auch über zwei Amtszeiten.
Und falls sie die Wahl nicht gewinnen, wie würden Sie sich anstelle in der Stadt engagieren?
Ich habe mich davor schon vielfältig engagiert und habe das jetzt die letzten sechs Jahre nicht tun können, weil ich so viel gearbeitet habe. Quasi ausschließlich für die Stadt. Da mache ich mir keine Sorgen, dass ich nicht was finde, wo ich mich noch engagieren kann und werde.
Fotos: Phillipp Gehrhardt
Das Interview fand am 30.Mai statt. Zu diesem Zeitpunkt hingen die neuen Wahlplakate noch nicht. Außerdem ging Gerda zu dem auch von einem stattfindenden Interview mit dem anderen Kandidaten aus.
Und wo ist das Interview mit dem anderen Stichwahl-Kandidaten Kurt Dannenberg?
Dannenberg wollte kein Interview geben. Nach mehrfacher Nachfrage, sagte er zu, nur um es kurzfristig wieder abzusagen. Die gesamte Erklärung ist hier im Newsletter zu lesen: