Sport und Gedenken
Der Geraer Stolpersteinlauf verbindet Sport und Gedenken. Erinnert wurde an die Gerschen Opfer des Faschismus in den Jahren 1933-45.
Am 29. September fand in Gera der sechste Stolpersteinlauf als ein bewegendes Symbol des Erinnerns statt. Nach einer längeren Pause kehrte die Veranstaltung, die zuletzt 2018 durchgeführt wurde, nun zurück und bot eine besondere Möglichkeit, die Stolpersteine unserer Stadt auf sportliche und zugleich tief berührende Weise zu erkunden. Organisiert von der Initiativgruppe Stolpersteine Gera, erinnert diese Veranstaltung an Menschen, die einst in unseren Straßen lebten und deren Leben durch die Grausamkeiten des Nationalsozialismus ausgelöscht wurde. Getragen wurde die Aktion durch die Initiativgruppe selbst. Zu der Gruppe zählen das Jugendhaus Shalom, der Sportverein Roter Stern Gera, der Thüringer VVdN-BdA, die Gedenkstätte Amthordurchgang, Geraer Sportjugend, der Stadtjugendring, der Deutsche Alpenverein Gera, das Aktionbündnis Gera Gegen Rechts sowie die Parteien Linke und Grüne1.
Die Teilnehmenden konnten zwischen einer geführten Tour sowie einer Jogging- und Radfahrstrecke wählen. Die Fußgängertour wurde von Gästeführer Günter Domkowsky begleitet, die Joggingroute geschah mit dem Shalom und der Radfahrerklub Solidarität 1895 Gera e. V. hat die Radroute begleitet. Dabei stand nicht nur der sportliche Aspekt im Vordergrund, sondern auch das bewusste Innehalten und ehrende Gedenken.
Die Veranstaltung wurde auch von Oberbürgermeister Kurt Dannenberg eröffnet, der in seiner Rede zur Stärkung der Erinnerungskultur in der Stadt aufrief. Im Hinblick auf das Wiedererstarken des Faschismus eine wichtige Botschaft. Die Stolpersteine werden immer wieder Ziel rechtsextremer Angriffe. So wurde zuletzt im November 2023 ein Gedenkstein an der Pfarrkirche St. Elisabeth mit einem Hakenkreuz beschmiert. Auch andere Orte der Erinnerungskultur in Gera werden regelmäßig attackiert.
Wer sich für die geführte Tour entschied, wurde von Günter Domkowsky durch die Stadt begleitet. Er erzählte die Geschichten der Menschen, an die die Stolpersteine erinnern. Die Teilnahme am Lauf war für alle kostenlos, was verdeutlicht, dass Erinnerung keine Hürden kennt – sie ist offen für alle, die bereit sind, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen.
In Gera wurden bisher 112 Stolpersteine verlegt, die an das Schicksal von Mitbürgerinnen und Mitbürgern erinnern, die einst Teil unseres Alltags waren und von den Nationalsozialisten verfolgt, deportiert und ermordet wurden. Hunderte Menschen wurden allein aus Gera in die Todeslager verschleppt. Viele kehrten niemals zurück, ihre Namen und Geschichten drohen in Vergessenheit zu geraten. Doch dank der Stolpersteine bleiben sie sichtbar – mitten in unserem Leben, eingelassen in die Bürgersteige vor den Häusern, in denen sie einst lebten und in denen wir heute leben.
An mehreren Stationen hielt Günter Domkowsky inne und berichtete mit sichtbarer Rührung von den tragischen Schicksalen der Menschen, die hier einst lebten.
Von Anna Schalscha, die bis zur Wannseekonferenz von den Nazis toleriert wurde, aber den Freitod wählte, nachdem ihre Tochter deportiert wurde und sie kein Lebenszeichen mehr von ihr bekommen hatte.
Von Rudolf Diener, einem Widerstandskämpfer, der mehrfach inhaftiert, zur Zwangsarbeit gezwungen und letztlich im Gerichtsgefängnis ermordet wurde.
Von der Familie Brüg, die bis auf einen Sohn, der durch einen Transport nach England gerettet werden konnte, vollständig ausgelöscht wurde.
Ein Stein, ein Name, ein Mensch.
Der Stolpersteinlauf in Gera verbindet Sport mit Gedenken, Aktivität mit Achtsamkeit. Er zeigt, dass Erinnerung nicht starr ist, sondern sich bewegt – genauso wie wir uns bewegen, auf den Spuren derer, die vor uns hier lebten. Die Stolpersteine, ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig, wurden mittlerweile mehr als 80.000 Mal in ganz Europa verlegt und bilden die größte dezentrale Gedenkstätte weltweit.
In Gera, wo einst Menschen vertrieben und vernichtet wurden, zeigt der Stolpersteinlauf, dass wir sie nicht vergessen haben, nicht vergessen wollen und sie nicht vergessen dürfen. Ihre Geschichten leben weiter – nicht als bloße Erinnerungen, sondern als Mahnungen für unsere Gegenwart und Zukunft.
Im Zeitraum 07.10. – 24.10. soll die Reinigung aller Stolpersteine in Gera erfolgen. Wer mitmachen möchte, kann sich via jugendhaus-shalom@posteo.de oder Insta: gera_im_nationalsozialismus anmelden/Kontakt aufnehmen.
In einer frühen Version des Textes haben wir die Zuständigkeiten, bzw. die Mitglieder der Initiativgruppe inkorrekt wiedergegeben. Wir haben die Stelle korrigiert und bitten um Entschuldigung.