Zuerst abgelehnter OB-Kandidat doch zugelassen
Finale Entscheidung beim Wahlausschuss Gera zur Kommunalwahl am 26.05.2024
Zwei Bewerber für das Amt des Oberbürgermeisters in Gera erschienen am Dienstag zur zweiten Sitzung des Wahlausschusses. Beide Männer waren vorläufig abgelehnt worden. Bei Alexander Tenneberg hielt man an einer Ablehnung fest. Und Yves Berlinghoff wurde nun doch zugelassen.
“Schämen Sie sich nicht, was Sie hier machen? Was Sie der Stadt Gera und den Bürgern antun?”
“Wer wusste schon beim Abitur, dass er nichts wird? Auch wieder Sie!”
“Haben Sie etwas gegen Krankenpfleger?”
Der Wahlleiter Alexander Streibhardt musste im Wahlausschuss unzählige verbale Ausfälle in Richtung seiner Person und Unterbrechungen dulden. Die beiden Bewerber zeigten sich nicht sonderlich souverän im Umgang mit der Entscheidung des Gremiums. Dieses Gremium bestand aus dem Wahlleiter als Vorsitz, sowie den Beisitzer*innen Ute Hausold (Linke), Hartmut Straaß (CDU), Horst Seidel (AfD) und Ralf Hofmann (SPD), die von den Parteien als Vertretung geschickt wurden. Von FDP und Bündnis 90/Grüne kam niemand, da sie nicht geladen waren.1
Bei Alexander Tenneberg, zu dem bekannt wurde, dass er im Rathaus Hausverbot hat, war die Entscheidung recht eindeutig. Schon zur ersten Sitzung des Ausschusses hatte er keinerlei Unterstützungsunterschriften, weshalb sein Wahlvorschlag abgelehnt wurde. Dennoch legte er Einspruch ein und lud seinen Ärger beim Wahlleiter ab, dem er wiederholt vorwarf, unqualifiziert zu sein. Erneut wurde er einstimmig abgelehnt. Dem MDR gegenüber gab er an, dass er "die Stadt ärgern wollte".
Bei Krankenpfleger Yves Berlinghoff war die Sache komplizierter. Er hatte mehr als die geforderten 210 Stimmen gesammelt. Allerdings war er in der ersten Sitzung einstimmig abgelehnt worden. Man stellte fest, dass er “nicht für die Berufung in ein Beamtenverhältnis geeignet ist”. Dagegen legte er Einspruch ein.
Auch wollte er nicht, dass Auskünfte vom Verfassungsschutz über ihn vorgelesen werden. “Das verletzt meine Persönlichkeitsrechte! Sie können gerade in ihrer Menschlichkeit nicht tiefer sinken!” Dabei handelt es sich aber nur die Äußerungen und Auftritte, die er öffentlich getätigt hatte und die von Presse und antifaschistischen Recherchegruppen dokumentiert wurden. So geht es um ein Interview, bei dem er behauptete, dass das letzte gültige Gesetz bezüglich der Staatsangehörigkeit das RuStaG von 1913 ist, auf das sich Reichsbürger*innen immer wieder beziehen.
Ebenso waren Teilnahmen an Veranstaltungen mit verfassungsfeindlichen Tendenzen aufgeführt. Berlinghoff redete sich heraus, dass er da nur als freier Journalist teilgenommen habe und von den möglicherweise verfassungsfeindlichen Parolen nichts mitbekam. Er sei wohl zu den betreffenden Zeitpunkten auf Toilette, am Rosterstand oder abseits der Veranstaltung gewesen.
“Das gibt ne Strafanzeige, wenn sie das durchziehen!”, drohte er im weiteren Verlauf. Jedoch blieben die aufgeführten Sachen nur angedeutet. Dokumentiert sind viele Vorfälle und Auftritte. Mehrfach trat er bei rechtsextremen Veranstaltungen als Redner auf und war gelegentlich als Ordner eingesetzt. Im August 2022 stand er mit der Fahne der rechtsextremen Gruppierung “Freies Thüringen” vor der Bühne, als der rechtsextremistische Liedermacher Frank Rennicke auftrat. Im November 2022 war er in Erfurt Redner und teilte sich die Bühne mit dem Faschisten Björn Höcke. Anfang dieses Jahres war er bei der Blockade des Flüchtlingsheims dabei und wurde im Tumult mit Pfefferspray verletzt.
Für die rechtliche Beratung zum Ausschuss wählte er den Rechtsanwalt Martin Kohlmann. Dieser ist Vorsitzender der Partei Freie Sachsen, die vom sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz seit 2018 beobachtet wird.
In einem Punkt lag er jedoch nicht falsch. “Die AfD ist gesichert rechtsextrem einzuordnen und den haben Sie ohne Bauchschmerzen durchgewunken,” sprach Berlinghoff über die Zulassung von Wieland Altenkirch (AfD). Berlinghoff sieht sich selbst der AfD nicht zugehörig. Er sei nur einmal als Referent bei denen gewesen. Auch sei er nicht Mitglied bei Gruppierungen wie den “Freien Sachsen” oder den “Patrioten Ostthüringen”. Als Begleitung im Ausschuss saß neben ihm jedoch Evelyn Gropp, aus dem Vorstand des AfD-Stadtverbands. Sie ist zusammen mit Berlinghoff in der, vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischen "Verdachtsfall" eingestuften Gruppierung "Aufbruch Gera" aktiv. Zentrale Person in dieser Gruppierung ist der Rechtsextremist Christian Klar, mit dem Berlinghoff ein eigenes Videoformat unterhält.
Aber Berlinghoff bekannte sich im Laufe der fast dreistündigen Sitzung mehrfach zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Das schien dann doch zu überzeugen. Bei der finalen Abstimmung gab es zwei Ja- und zwei Nein-Stimmen sowie eine Enthaltung. Streibhardts Ja-Stimme war durch seinen Vorsitz doppelt gewichtet. Bis zur Wahl kann diese Entscheidung nicht mehr angefochten werden. Allerdings könnte das Landesverwaltungsamt nach der Wahl einen “Demokratie-Check” durchführen.
Zu Beginn schien Berlinghoff anzudeuten, dass Wahlleiter Streibhardt von seinem Wahlkonkurrenten, dem amtierenden OB Julian Vonarb, aufgestellt wurde, um Gegner wie ihn abzulehnen. Jetzt, wo Berlinghoff zugelassen ist, sind die Chancen der Wiederwahl für Vonarb aber gestiegen. Es ist davon auszugehen, dass sich die Stimmen aus dem rechten Lager auf nun drei Kandidaten (Dannenberg CDU, Altenkirch AFD und ihn) verteilen werden.
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In einen früheren Version hieß es nur, dass von Grünen und FDP niemand kam. Die Grünen gaben gegenüber Gerda an, dass ihr Vorschlag fristgerecht einging, aber der Wahlausschuss nur aus vier Fraktionen besteht.