1. Mai in Gera: Rechtsextreme Zurschaustellung & bunte Antifa
Mäßig besuchte Neonazi-Sause, überraschend erfolgreich mobilisierter Antifa-Protest; ruhige Demos, aber Angriffe abseits. Eine Einordnung:

Aus dem ganzen Bundesgebiet sind am 1. Mai hunderte Rechtsextremist*innen angereist, um in Gera ihren Nationalsozialismus auszuleben. Bis auf einzelne Maßnahmen der Polizei und lauten Gegenprotest konnten sie das gut.
Gera hatte am 1. Mai viel zu bieten: Hofwiesenparkfest, Frühlingsfest, Tag der offenen Tür im Theater, diverse Maibaumfeiern und eben das Demonstrationsgeschehen. Seit rund zwei Monaten hat der Rechtsextremist Christian Klar, der die wöchentlichen Montagsdemos anführt, für eine 1.-Mai-Kundgebung mit „Familienfest“ der rechtsextremen Partei Die Heimat (ehemals NPD) mobilisiert. Doch es war nicht wirklich für Familien gedacht, sondern lediglich ein rechtsextremer Marsch mit anschließendem Konzert. Davon lenkten auch die beiden Hüpfburgen nicht ab.








Rechtsextrem? Keine Zweifel
Obwohl Christian Klar vorab gemahnt hatte, Dinge wie Schlauchschal, Springerstiefel und Handschuhe mit Protektoren nicht mitzubringen, um möglichst harmlos zu wirken, ließ sich die Radikalität seiner Versammlung nicht verbergen. Auch die Annäherung an die bürgerliche Mitte gelang nicht wirklich. Selbst in diesem Punkt eher unkritische Medien bezeichneten seine Veranstaltung als Neonazi-Demo.
Ausgetragen wurde die Veranstaltung von Klar und Die Heimat, in deren Bundesvorstand er ist. Unterstützt wurde das Ganze von der Montagsdemo-Gruppe „Miteinanderstadt Gera“, den Freien Sachsen und Freien Thüringern. Dazu reisten mehrere rechtsextreme Gruppen aus Deutschland, sowie Spanien und Österreich an.
Die Jugendorganisation der Heimat, die JN (Junge Nationaldemokraten/Nationalisten), stellte den größten Block in der Demo. Erst wenige Tage vor der Demo veröffentlichte der Stern zusammen mit RTL Doku eine Undercover-Reportage aus einem Frauencamp der JN. Dort wurden unter anderem Hakenkreuze gemalt und SS-Lieder gesungen. Der Stern hat zudem einen neuen Themenschwerpunkt gesetzt. Unter „Braune Kinderzimmer“ zeigen sie Recherchen zu den neuen Jung-Kameradschaften und der rasant steigenden rechten Gewalt. Auch einige der in Gera beteiligten Gruppen stehen im Fokus der Recherchen. Dazu zählt „Der Störtrupp“ (DST), die ebenfalls zahlreich dabei waren, wie auch die „Deutsche Jugend Voran“ (DJV), deren Anführer kürzlich wegen mehrerer Delikte zu über drei Jahren Gefängnis verurteilt wurde. SPIEGEL TV hat die Behörden bei der Ermittlung begleitet. Beim DJV Block beteiligten sich auch mindestens drei Personen der sogenannten Gerschen Jugend, die, abhängig von ihren internen Problemen, auch als Block montags in Gera mitlaufen. Etwas kleiner fiel der Block der Chemnitz Revolte aus, in deren Strukturen es erst am Mittwoch Razzien wegen eines Überfalls auf eine Chemnitzer Bar gab. Die mutmaßlichen Täter sind zwischen 15 und 21 Jahre alt, wie auch zahlreiche Teilnehmer*innen der genannten Kameradschaft-Blocks in Gera. Das ZDF hat sich einige dieser Gruppen sowie deren Aufbau, Mobilisierung und Gewaltbereitschaft kürzlich in dem Format „Die Spur“ angeschaut.




Die politische Positionierung zum Nationalsozialismus wurde auch durch Shirts, Sticker und Tattoos ausgedrückt. Eine kurze Übersicht:
Shirts mit Aufschriften wie NS-Fightclub, Kampf der Nibelungen (verbotene Kampfsportveranstaltung), „Antifa Hunter“, Nazibande, Anti-Antifa …
Handyhüllen-Sticker „HKNKRZ“ im Run DMC Style
Huldigung eines der am höchsten dekorierten Wehrmachtssoldaten
Viele Shirts rechter Bands, darunter „Erschießungskommando“(in einem ihrer Songs rufen sie zum Mord an der Thüringer Landtagsabgeordneten Katharina König-Preuß auf, die am 1. Mai ebenso in Gera war)
Einiges an Wehrmachtsymbolik in Form von Tattoos, Shirt-Aufdrucken und Kleidungsstücken
an mehreren Stellen Verwendung des Zahlencodes 88 (steht für HH = Heil Hitler)
Shirt mit Deutschlandkarte samt alten Grenzen, auf dem das heutige Polen mit dem Spruch „Das ist Ostdeutschland!“ markiert ist
Zudem gab es Shirts, Pullover und Schlauchschals der 2023 aufgelösten Gruppe „Arische Bruderschaft“. Deren Logo ist an das Emblem der SS-Sondereinheit Dirlewanger, einer der schlimmsten NS-Einheiten, angelehnt. Mindestens zwei Personen in AB-Merch sind in Maßnahmen gelandet.

Zahlreiche Teilnehmer*innen sah man auch mit abgeklebten Stellen auf der Haut, mutmaßlich um verbotene Symbole zu verdecken. Zudem waren nicht nur auf der Bühne, sondern auch unter den Teilnehmer*innen zahlreiche Personen wie Thorsten Heise, Stefan Trautmann und S. Liebich aus Halle, die seit Jahren rechtsextrem auffallen.
Auch in den Redebeiträgen wurde es extrem. Ein Redner bezeichnete Migrant*innen pauschal als „Verbrecher“, auch in anderen Reden wurde es ausländerfeindlich. Christian Klar beleidigte den Gegenprotest als „Schmutz“ und „antideutsche Gerotze“, während er sich zugleich über DST freute: „Bei uns seid ihr willkommen!“. Der Freie Sachsen-Kader Max Schreiber wendete sich an die Polizist*innen: „Entweder ihr steht hinter uns oder ihr steht uns im Weg!“ Auf dem Marsch durch die Stadt fallen Parolen wie „HIV hilf uns doch, Zecken, gibt es immer noch“, „Ausländer raus“, „Frei, Sozial und National“ oder „Jung Rechts Radikal“.



Russland und AfD dabei
In der Frage, für welches Land man demonstrierte, schienen die Teilnehmer*innen nicht so ganz einig. Neben Deutschlandfahnen waren auch umgedrehte Deutschlandfahnen (ein Symbol der Reichsbürger) und andere Fahnen des Kaiserreichs & Dritten Reichs sowie Forderungen nach einem starken Europa und einem Säxit (Austritt Sachsens aus der BRD) festzustellen. Ebenso konnte man Russlandfahnen und sogar ein Sowjetunion-Shirt sehen. Das Deutsche Reich, für das die meisten Teilnehmer*innen des Marsches offensichtlich Sympathien zeigten, verlor im Zweiten Weltkrieg gegen die Sowjetunion (und die Alliierten).
Einer, der auch mit Russlandfahne in der Hand teilnahm, war AfD-MdL Wolfgang Lauerwald. Eigentlich steht die Heimat/NPD auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD. Lauerwald war nicht der einzige AfD-Mandatsträger vor Ort. Es wurden mehrere Stadträt*innen aus der Region gesichtet. Zudem gab es Shirts, Sticker und Plakate von AfD und Junge Alternative. Bei diesen ideologischen Überscheidungen überrascht die Einstufung der gesamten AfD als gesichert rechtsextrem am Tag danach nicht.

Weniger Neonazis als erwartet
Angemeldet waren „bis zu 2.500“ Teilnehmer*innen, Klar hatte sich auch auf mindestens 3000 gefreut. In der Spitze zählte die Polizei 880/900 Teilnehmer*innen. Das überrascht nach der großen Mobilisierung im Vorfeld. Das Sharepic zur Veranstaltung ging durch sämtliche Gruppen und Kanäle im rechten Spektrum, von Heimat-Ortsgruppen und Neonazi-Kameradschaften bis hin zu Rechtsrockforen und Querdenker-Gruppen. Warum trotzdem nicht einmal 1000 Leute kamen, ist unklar.
Gegen 13 Uhr zogen sie los, von der Neuen Mitte über die Heinrichstraße zur Sommerbadstraße. Am Stadtmuseum war zu Beginn ein kleiner Gegenprotest der MLPD. Der rechte Marsch zog am Hofwiesenparkfest vorbei über die Gebrüder-Häußler-Straße sowie Ernst-Toller-Straße zurück zur neuen Mitte. Vereinzelt gab es Polizeimaßnahmen, mutmaßlich wegen verbotener Symbole. Dadurch entstand jedoch eine Lücke von mehreren Hundert Metern in der Demo. Es schien auch, als ob die Einsatzkräfte dadurch nicht mehr die komplette Demo einsehen konnten.



Zurück auf dem KuK-Vorplatz auf der Neuen Mitte wurde die Stimmung etwas gereizter. Die Sonne brannte heiß auf dem Asphalt und den Köpfen. Es kam zu mehreren Angriffen auf die Pressefreiheit. Pressevertreter*innen wurden beleidigt, die Kameralinsen zugehalten, mit Zigaretten abgeworfen und von der Kundgebung gedrängt. Der Fotojournalist Marco Kemp teilte zudem ein Bodycam-Video von zwei Neonazis, die ihn als „Judenpresse“ beleidigen und drohen, dass man ihn „krankenhausreif“ schlägt.

In seinen Reden erwähnte Christian Klar unterdessen auffällig oft, dass sie ja „die guten Deutschen“ sind.
Bunter Antifa-Gegenprotest
Ganz anders gestaltete sich der von der Antifaschistischen Aktion Gera (AAG) angeführte Gegenprotest. Ursprünglich wollte die AAG in diesem Jahr eine andere Demo unterstützen, aber wurde von anderen Gruppen animiert, doch dem Heimat-Marsch etwas entgegenzusetzen. So wurde recht kurzfristig diese Demo unter dem Motto „Mach frei am 1. Mai! Für faire Löhne, Umverteilung und ein gutes Leben für Alle!“ Mit anderen Menschen aus Thüringen, v.a. Jena und Erfurt, organisiert. Als Gruppen waren ADP Erfurt und Rechtsruck Stoppen aus Jena beteiligt. Trotz der kurzfristigen Mobilisierung nahmen laut Polizei 750 Menschen an der Demo teil. Angemeldet waren 400–500. „Wir wissen von Gruppen aus Jena, Erfurt, Weimar, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Hessen und Niedersachsen, welche zur Demo gereist sind“, antwortete die AAG Gerda auf Nachfrage und sprach zudem von einer zivilgesellschaftlichen Breite der Teilnehmenden. Zwischenzeitlich sollen es sogar rund 1000 Personen gewesen sein, als die rund 300 Teilnehmer*innen der traditionellen DGB-Kundgebung auf dem Markt zur Endkundgebung dazugestoßen sind.








Nachdem es vor zwei Jahren zu Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen war, wurde diese Demo anders aufgezogen. So wurde schon vorab angekündigt, dass sie „keine Black-Block-Demo“ haben wollen. „Wir wollten hingegen so viele Menschen wie möglich ansprechen und auf ein gewisses abweisendes Auftreten verzichten, weil wir uns bewusst darüber waren, dass wir gerade zu Beginn der Demo durch ein vorrangig migrantisch bewohntes Viertel laufen“, erklärt die AAG die Hintergründe dazu. Mit der Route durch dieses Viertel, auch Klein-Aleppo genannt, wollte man die Bewohner*innen auch vor den Neonazis schützen, die eventuell stattdessen dort vorbeigekommen wären. Es wurden auch Flyer gedruckt, die vorab in Briefkästen und während der Demo verteilt wurden. Tatsächlich waren die Reaktionen an den Fenstern und Balkonen diesmal insgesamt deutlich freundlicher als bei anderen progressiven Demonstrationen.






Neben der „Black-Block-Optik“ wurde auch auf Vermummung, Pyrotechnik und das Stickern entlang der Route verzichtet. Man wollte der Polizei keinen Vorwand geben, die Demo zu stoppen und die Situation eskalieren zu lassen. Der mediale Fokus sollte auf der Neonazi-Demo liegen, nicht auf einer „gewaltbereiten Antifa“.






Die Antifa-Demo verlief störungsfrei. Zwischendurch kam es zu einigen polizeifeindlichen Sprüchen, was jedoch vor allem auf die Erfahrungen vom 1. Mai 2023 zurückzuführen ist. In einem Redebeitrag wurde auf diesen Tag und seine Folgen eingegangen: „In den letzten Monaten finden Genoss*innen nun vermehrt Post mit den verschiedensten Vorwürfen im Briefkasten: von Uniformierung und Vermummung bis zu (schwerem) Landfriedensbruch und Widerstand.“ Auch wurden aktuelle und historische Beispiele von Polizeigewalt genannt.
Die anderen Redebeiträge widmeten sich jedoch vor allem dem Rechtsruck. „Rechtsradikale Weltbilder sind längst wieder salonfähig geworden“, stellte die erste Rednerin fest. „'Nazis sind doof', das ist der Konsens von vielen Menschen. Doch praktische Solidarität suchen Betroffene in der Gesellschaft meist vergeblich.“ In einem weiteren Redebeitrag wurde über die lokalen Akteure sowie die teilnehmenden Neonazigruppen aufgeklärt. „Gerade gewaltbereite Jungfaschos wie die Gersche Jugend werden sich in den nächsten Jahren ohne antifaschistische Intervention noch weiter radikalisieren“, wurde dabei gewarnt. „Lasst uns gleich laut sein, wenn die Faschos uns gegenüberstehen, und ihnen zeigen, dass wir viele sind und Seite an Seite gegen den Faschismus stehen.“









Nachdem man am Stadtmuseum laut gegen die Neonazis protestiert hat, zogen die verbliebenen Antifas die Demo wieder zum Südbahnhof. Auf der Seite der Neonazis war es trotz des kostenlosen Konzerts rechtsextremer Liedermacher und Rapper ebenfalls viel Abgang.






Die Organisator*innen der Antifa-Demo ziehen ein überwiegend positives Fazit: „Es ist für uns unfassbar schön, in der Kürze der Zeit eine solch (für Gersche Verhältnisse) große und kraftvolle Demo auf die Beine gestellt zu haben. Dass wir ungefähr genauso viele Teilnehmende wie die Faschos hatten, macht uns stolz und glücklich, denn es ist einige Jahre her, dass das in Gera möglich war.“ Sie zeigten sich aber auch erschreckt über die Teilnahme von „normalen Bürgern“ an Klars Demo und die Ignoranz in weiten Teilen der Stadt. Zudem kritisierten auch die Polizei für fehlenden Schutz abseits der Demos.




Demos ruhig, Abreise nicht
Das Demonstrationsgeschehen wurde dieses Mal von der Landespolizeidirektion Thüringen verwaltet. In einer abschließenden Pressemitteilung freute sich die Polizei: „Das Einsatzkonzept der Landespolizeidirektion, das auf Deeskalation und Gewaltvermeidung ausgerichtet war, ist aufgegangen.“ Die Versammlungen verliefen „friedlich und ohne nennenswerte Störungen“. Auch wurden die Verkehrsbeeinträchtigungen gering gehalten.


Tatsächlich gelang es Polizei und Versammlungsbehörde, ein Aufeinandertreffen beider Demos zu vermeiden. Beide bewegten sich auf unterschiedlichen Routen, und am Stadtmuseum trennte Hamburger Gitter die beiden Lager. So konnten Szenen wie am 3. Oktober 2024 vermieden werden. Wasserwerfer und ein Drohnenteam standen auch bereit.






Dennoch kam es zu Auseinandersetzungen. Neonazi-Grüppchen zogen durch Geras Innenstadt und grölten herum. Es soll auch zu mehreren Angriffen gekommen sein. Bei einer Auseinandersetzung am Hauptbahnhof soll ein junger Neonazi durch Pfefferspray verletzt worden sein. Mehrere Antifas wurden im Zug bei Stadtroda angegriffen und verletzt. Näheres ist nicht bekannt. Die Polizei wollte uns vorerst weder die Vorfälle bestätigen noch Einzelheiten nennen.
Auch konnte Gerda bis jetzt nicht in Erfahrung bringen, wie viele Delikte sie im Rahmen der Demos aufgenommen haben. In der Pressemeldung hieß es nur: „In Gera und Suhl wurde in der Summe eine zweistellige Anzahl von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, vorwiegend Verstöße gegen das Versammlungsgesetz bzw. wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Symbole, festgestellt.“ Sobald es detaillierte Rückmeldung gibt, wird das unsererseits nachgereicht.
Eine weitere Frage, die viele Beobachter*innen umtrieb, ist, ob der Block der JN gegen das Uniformierungsverbot und die vom Ordnungsamt untersagte Bewegung in Formation/ Gleichschritt, Glied‑ oder Reihenbildung (oder sonstige choreografierte Elemente) verstieß. Laut Polizeidirektor Matthias Zacher war das nicht gegeben. Es trugen einige weiße, andere weinrote Shirts. Außerdem fehlte die Bedrohlichkeit, wie es 2022 beim versuchten Aufmarsch der Neuen Stärke Partei in Gera der Fall war. Die durfte damals nicht starten, weil die Polizei hier eine Uniformierung sah. An anderer Stelle hieß es jedoch, dass das mit dem JN-Block noch geprüft wird. Eine offizielle Entscheidung steht noch aus.


