Nichtwissen ist keine Ausrede mehr
Mit seinem Buch „Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst“ über die AfD ist der CORRECTIV-Reporter Marcus Bensmann aktuell auf Lesereise. Am 27. August war er in Gera im Comma zu Gast.
Trotz der Brisanz waren nur wenige Menschen im Comma für das Gespräch mit Marcus Bensmann und Pfarrer Dr. Frank Hiddemann über das Buch „Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst“. Aber die, die dort waren, hörten interessiert zu und stellten Fragen.
Zuerst stellte Bensmann die Arbeit von CORRECTIV vor. Viele kennen das Medienhaus erst seit der „Geheimplan Gegen Deutschland“-Recherche, doch CORRECTIV existiert schon seit 2014. Gegründet wegen der Medienkrise mit dem Ziel Recherchen für die Gesellschaft zu machen. „Wir entwickeln uns zur redaktionellen Gesellschaft – jeder kann senden“, erklärt Bensmann, dass das bisher übliche Sender-Empfänger-Prinzip der Medien nicht mehr funktioniert. CORRECTIV setzt daher auf Community-Journalismus, bei dem die Leser*innen mit der Redaktion zusammen recherchieren. Ihre Zentrale in Essen ist auch ein Buchladen, um den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen.
Ähnlichkeiten mit den Ansätzen von Gerda, kein Zufall. Auch wir arbeiten auf das Konzept von Community-Journalismus zu und machen gemeinnützigen Journalismus. Wir sind über das CORRECTIV.Lokal-Netzwerk vernetzt und haben von CORRECTIV Tipps und Lob bekommen. Ein Begegnungsort und eine Finanzierung fehlt uns aber derzeit noch.
Natürlich ging es an dem Abend auch um die große Recherche, die Anfang des Jahres Millionen Menschen in Deutschland auf die Straße getrieben hat. Den Effekt habe CORRECTIV nicht erwartet. Sie hatten maximal mit einer Meldung in der Tagesschau gerechnet, gibt Bensmann an. Verwundert waren sie zum Teil, dass es drei-vier Wochen dauerte, bis erste juristische Briefe kamen. „Juristische Auseinandersetzungen gehören bei investigativen Recherchen dazu“, schilderte Bensmann und erklärte: „Wir bei CORRECTIV haben das Rezept der Einschüchterung nicht verstanden.“ Bensmann stellte auch noch einmal klar: „Der Kern der Recherche steht! Die zentralen Punkte der Recherche sind unangefochten.“ Die juristische „Niederlage“, die auf der rechten Seite groß gefeiert wird, betrifft tatsächlich nur einen unwichtigen Satz, der aus dem Text gestrichen werden musste.
CORRECTIV ist seit dieser Recherche viel unter Beschuss, besonders aus dem rechten Spektrum. Auch über den Vorwurf staatsfinanzierender Spionage klärte Bensmann auf. CORRECTIV finanziert sich über Spenden, Stiftungsgelder und staatliche Förderung. Die öffentlichen Gelder fließen aber nicht in die Recherchen, sondern in Bildungsangebote wie der Reporterfabrik. „Recherchen finanzieren wir selbst und bekommen keinen Anruf von Scholz.“
Irgendwann hatte CORRECTIV die Einladung zu dem Treffen erhalten, in der der Begriff „Masterplan“ so schon drin stand. Dieser Plan ist im Buch des Rechtsextremisten Martin Sellner niedergeschrieben, der es dort vorgestellt hat. Das Buch hatten laut Bensmann selbst AfD-MdBs als „Manifest der Unfreiheit“ bezeichnet.
„Ich versuch’ die Geschichte der AfD zu erzählen“, spricht er über sein neues Buch. Dabei halfen ihm auch viele Kontakte in die Partei selbst. „In keiner anderen Partei reden die Mitglieder so offen über Kollegen wie in der AfD“, schildert er. „Die AfD ist keine braune Armee, die geschlossen marschiert, sondern eine ‚bunte‘ Truppe, die sich nicht eins ist“, stimmte ihm Frank Hiddemann zu.
Das Buch widmet sich auch dem Vorfeld, wie dem Ideologen Götz Kubitschek, die am gemeinsamen Ziel, die liberale Demokratie abzuschaffen, arbeiten. „Ich habe in der Arbeit in Zentralasien gelernt, wie wertvoll ein Rechtsstaat ist“, erklärt Bensmann, der unter anderem bereits aus Kasachstan und Usbekistan berichtet hat. Kolleg*innen von ihm seien inhaftiert und erschossen worden. „Mich haben sie auch mal niedergeschlagen“. Umso deutlicher schaut er auf die Hinwendung der AfD nach Russland. „Wir sind nicht die Mediatoren im Russland-Ukraine-Krieg, wir sind die Beute“, warnt er. Auch wenn Länder wie Deutschland und die USA bei weitem nicht in Ordnung sind, aber sie lassen das Hinweisen auf Fehler zu. Darin liegt der Unterschied. Einen Aspekt warf Bensmann außerdem ein: „Ist Frieden dem Angegriffenen keine Waffen zu geben?“
In der AfD haben sich deutlich die Russlandnähe und die Radikalisierung durchgesetzt. Teilweise haben die AfD, aber besonders auch die Identitäre Bewegung sich aus der „Muffigkeit und Brutalität des Nationalsozialismus“ rausgezogen und prägen andere Begriffe. Bensmann beschrieb auch, dass der westdeutsche Faschist Björn Höcke die ehemalige DDR als Germanenreservat angesehen hat, so wie Höcke seine Erinnerungen an den Mauerfall schilderte.
Im Gespräch mit dem Publikum ging es auch um das Trugbild: Wenn die Ausländer weg sind, herrscht wieder Sicherheit. Bensmann nannte als Beispiel eine Recherche in einem idyllischen Dorf in Bayern, wo es über Jahre hinweg kirchlichen Missbrauch gab.
Auch wurde sich über die Wahlen ausgetauscht. „Halte den Wahlkampf, den die CDU hier im Osten macht, für fatal“ findet Bensmann, als er auf die Verrohung in der Politik angesprochen wurde. Es wurde vorgeschlagen, dass man sich stolz auf den Rechtsstaat beziehen sollte und aber auch Leute braucht, die das ausstrahlen.
„Halte den Wahlkampf, den die CDU hier im Osten macht, für fatal“
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