Tag 2 im ISPK-Prozess: Ein Angeklagter sagt umfassend aus
Am zweiten Verhandlungstag im Falle eines mutmaßlich geplantes islamistischen Terroranschlags hat einer der beiden Angeklagten knapp drei Stunden ausgesagt.
Wie am ersten Prozesstag schon angedeutet, wollte sich einer der beiden Angeklagten, der 30-jährige Ibrahim M. G., zur Sache einlassen und hat rund drei Stunden lang die Fragen vom vorsitzenden Richter und einem Vertreter des Generalbundesanwalts beantwortet.
Hinweis: Die meisten Antworten hat der Angeklagte mithilfe eines Dolmetschers gegeben. Die meisten Zitate im folgenden Text kamen aus dem Mund des Dolmetschers, aber sind dennoch die Aussagen des Angeklagten.
Über Glaubensfragen zum IS
Zuerst begann der vorsitzende Richter G. zu seinem Glauben zu befragen, wo der herkommt, welcher Glaubensrichtung er angehört und wie er seinen Glauben in Deutschland ausleben kann. G. sei in einer islamischen Familie geboren und er ist Sunnit1. Gegen Schiiten2 habe er nichts und seinen Glauben kann er in Deutschland ohne Probleme leben. Dann fragte der Richter weiter in Richtung Gewalt. G. habe niemanden gekannt, der Gewalt befürwortet. Von der Organisation Islamischer Staat hatte er mitbekommen. „Hatten sie persönlichen Kontakt zum Islamischen Staat?“, fragte der Richter. „Ja, die Leute, mit denen ich gechattet habe“, gab G. zu.
Er erklärte auch, wie er auf den IS gekommen ist. G. erzählte, dass bei Telegram viel Propaganda und Werbung, die auf entsprechende Webseiten weiterleitet, zu finden sei. In den verschiedenen Telegram-Kanälen gibt es Vorschläge für andere Kanäle und Gruppen. Eine Gruppe, um die es in der Verhandlung ging, wurde „Rückkehr des Kalifen“ genannt. Dort kann man laut G. Fragen zum Islam stellen und bekommt sie beantwortet. G. habe dort „primitive“ Fragen zu Gebet oder Fastenbrechenzeit gestellt. Der in der Anklageschrift erwähnte Kontakt „Akhi“3 soll laut G. der Leiter der Gruppe gewesen sein. Mit ihm habe G. im Mai 2023 gechattet und er habe ihn auch überredet, Geld zu überweisen.
Das Geld sollte an verwitwete Frauen und Waisenkinder im nordsyrischen Flüchtlingslager Al Hol gehen. „Mir wurde gesagt, dass es auch Leute gibt, die im Zelt leben, die brauchen Geld für ein normales Leben“, gibt er an. Was mit dem Geld konkret passiert, wusste er nicht, aber laut Anwalt war ihm klar, dass diese Frauen vom IS waren.
G. hat das Geld bei einem Lebensmittelladen in Gera eingezahlt. Die haben es an eine Person im Ausland gesendet, die das Geld wiederum an eine iranische Bank überwiesen hat.
Hierbei handelt es sich um das Hawala-Finanzsystem, welches seit Jahrhunderten im orientalischen Raum angewendet wird. In Gera gab es im Februar Razzien bei mehreren Lebensmittelläden, da ihnen die Erlaubnis als offizielle Zahlungsdienstleister fehlte. Der MDR hat berichtet. Auch der in der Verhandlung genannte Laden war betroffen. Ob ein Zusammenhang besteht, wurde in der Verhandlung nicht geklärt.
G. sei der Name des Systems nicht bekannt gewesen. Bei der ersten Überweisung hat G. rund 100 € eingezahlt und der Mitangeklagte Ramin N. habe auch 100 € dazu getan. Warum N. auch Geld dazugetan hat, fragte der Richter. „Er ist ein guter Mensch, er hilft auch mal armen Menschen und Kindern“, erklärt G. „Ich habe ihm das gesagt und er hat es gegeben“. Die beiden hatten sich auf der Arbeit kennengelernt.
Aber G. hat bei Akhi nicht nachgefragt, ob das Geld angekommen ist oder was damit gemacht wird. „Ich habe ihnen geglaubt, dass sie das so machen“. Insgesamt drei Überweisungen von insgesamt 517 € hat G. getätigt.
Der Vertreter des Generalbundesanwalts (im weiteren Textverlauf GBA abgekürzt) hatte auch Fragen an G. Er wollte wissen, wie er den IS findet. „Also ich weiß, dass sie einfach nur Krieg führen“, antwortet G. Sein Anwalt flüstert ihm ins Ohr. „Manche Sachen, die sie tun, sind gut, manche Sachen nicht“, antwortet er weiter. „Leute zu töten, ist nicht gut“. „Welche Sachen sind gut?“, hakt der GBA nach. „Sie wissen selber, was sie tun, was gut ist“, entgegnet G.
“Islambezogene Gefühle und Dschihad”
Nach einer kurzen Pause ging die Befragung weiter in Richtung Anschlagspläne. G. gab zu, anfangs nach Nigeria reisen zu wollen, um sich dort dem IS anzuschließen. Als Grund nannte G.: „Ich wurde islamisch emotionalisiert“. Er sei in den sozialen Medien beeinflusst worden. „Es war nicht, dass ich für die Daesh4 kämpfen soll, sondern für meinen Glauben.“ Das hat aber nicht geklappt, weil er mit Familie und Arbeit beschäftigt war, gab er an und nannte es einen Fehler. Später hakte der GBA nochmal nach, warum genau dorthin. „Islambezogene Gefühle und Dschihad5“, erklärte G. Er schien aber keine Ideen zu haben, wem er sich wie dort anschließt. „Ich besaß keinerlei Informationen, was ich dort machen soll. Alles bezog sich auf islamische Gefühle.“ Aber er bestätigt, dass er sich dort dem IS anschließen wollte. Ob allein oder zu zweit, wollte G. nicht beantworten.
Der Richter fragte auch zu dem Treueeid, den G. laut Anklageschrift abgegeben haben soll. „Es war ein arabischer Text, den ich kopiert und eingefügt habe, und Akhi um Übersetzung gebeten haben“, erklärte er. „Das war ein Fehler von mir. Ich dachte, das sind gute Menschen“.
Über YouTube und soziale Medien hat er im August 2023 von den Koranverbrennungen erfahren. Mit zwei weiteren Kontaktpersonen hat er darüber gesprochen. Einer davon war Talha, der auch in der Anklageschrift mehrfach genannt wird und ihm von der anderen Person zugewiesen wurde. Die andere Person gab G. auch die Idee, mit dem Anschlag: „Er sagte, du kannst dort, wo der Koran verbrannt wurde, einen Anschlag begehen. Das war seine Idee“. Der Anschlag sollte eine Art Rache sein. „Sie sagten uns, als Reaktion auf diese Koranverbrennungen soll etwas passieren, damit das nicht mehr passiert.“ Und warum das G. wollte: „Weil sie mich beeinflusst haben und meinen Glauben benutzt haben“. Er habe auch nicht an sich und seine Familie gedacht. Es war für ihn eine „Überladung an Emotionen“ und im Nachhinein sieht er es als Gehirnwäsche.
„Ich hatte nie eine Waffe in der Hand gehabt“
Doch die Pläne gab es und dazu hatte der vorsitzende Richter konkrete Fragen. Was die Reaktion auf die Koranverbrennungen sein sollte. „Mir wurde gesagt: Du kaufst Waffen und begehst den Anschlag“, antwortet G. Im weiteren Verlauf erklärt er: „Ich hatte nie eine Waffe in der Hand gehabt, ich weiß nicht, wie das geht.“ Konkret sollten es Schusswaffen sein. „Pistole oder Kalaschnikow6“. Die wollten sie sich in der Tschechischen Republik besorgen. G. hatte zwei Screenshots von Waffen dabei. Dort auf dem Schwarzmarkt haben sie aber keine gefunden. „Mal angenommen, es hätte funktioniert. Was hätten sie dann konkret gemacht?“, fragte der Richter. „Dann würden wir einfach weiter reisen nach Schweden“, entgegnet G.: „Mit dem Auto“. „Ist ganz schön weit“, hakt der Richter nach. „Mein Kopf hat nicht funktioniert“, antwortet G.: „Es war nur eine Idee“. Er und N. haben sich dort einen Rucksack, eine Geldbörse und Getränke gekauft. Waffen, wie Macheten, haben sie sich angesehen, aber Schusswaffen gab es nicht. „Ich wusste nicht, was eine Waffe kosten soll“, erklärt G., der für den Kauf 1270 € mitgenommen hatte.
Und was sie genau in Schweden machen wollten, schien er sich auch nicht überlegt zu haben. Laut Anklage wollte man mit Schusswaffen das Parlament in Stockholm angreifen. Es sollten die Parlamentarier, die mit ihren Gesetzen die Koranverbrennungen erlaubt haben, erklärte G. in der Befragung. Sie sollten getötet oder verletzt werden. G. nickt, als ihn der Richter fragt, ob er damit einverstanden war, dass die Menschen sterben. Aber er wollte nicht auf Unbeteiligte schießen, gab er auf Nachfrage an. „Ich habe mich noch nicht konkret darauf vorbereitet“, antwortete er als Erklärung, wie er da den Unterschied erkannt hätte. Der Vertreter des GBA fragte dazu nochmal nach, wie es mit dem Töten von Polizisten aussah. „Nein“, gab G. zur Antwort und fügte hinzu: „Wenn jemand auf mich schießen würde, dann würde ich auch zurückschießen“.
Zum Waffenkauf gab es weitere Fragen. Laut Anklage soll G. vor dem Versuch in der Tschechei sich in Deutschland mit einem nicht weiter bekannten Albaner getroffen haben. Aber auch hier kam kein Kauf zustande. Dem GBA gegenüber gab er an, dass er den Albaner einmal in Gera getroffen hatte. G. hatte 500 €. Er hat ihn dann aber nicht wieder gesehen.
„Angenommen, es hätte geklappt“, führt der Richter fort: „Sie sagen, sie haben selbst keine Erfahrung mit Waffen. Wie haben sie sich das vorgestellt?“ „Das war blöd von mir, dass man ohne Erfahrung eine Waffe kauft“. Pläne für Schießtrainings gab es nicht. Seine Kontaktpersonen haben ihm nur gesagt, wo er die Waffe verstecken könnte. Die Tipps zum Waffenkauf kamen auch nicht von ihnen. Einen Zeitpunkt zur Ausführung haben sie auch nicht genannt. Sie haben nur gesagt, dass sie erstmal Waffen besorgen sollen, bevor sie Stockholm auskundschaften. G. hat daher nur im Internet sich Stockholm und das Parlament angeguckt. Vom 15. August 2023 bis Anfang September hatte er mit Talha Kontakt, den er auf dem Laufenden halten sollte. Am 9. September 2023 fand die Fahrt zum Schwarzmarkt statt, auf dem Rückweg wurde das Handy von der Polizei einkassiert.
„Ich wollte damit nichts mehr zu tun haben“
Der Richter wollte auch mehr zur Beteiligung von Ramin N. wissen, ob er Bescheid wusste oder warum er mitgemacht hat. „Er ist ein guter, enger Freund von mir“, antwortet G. „Er hat mir geglaubt.“ Sie haben sich etwa 2022 auf der Arbeit kennengelernt und hatten auch privat Kontakt. G. erzählt, dass N. auch aus einem religiösen Elternhaus stammt. Als der Richter weiter nachbohrt, unterbricht Gs. Anwalt. N. sei ein Freund von G., er habe schon genug über ihn erzählt und sie wollen N. die Chance geben, sich selbst zu äußern. Aber auch an diesem Verhandlungstag schwieg N.
Der Richter ging daraufhin weiter auf G. ein. Er wollte wissen, ob er nach der Kontrolle durch die Polizei im September nochmal Kontakt mit Talha aufgenommen hatte und wie es mit den Anschlagsplänen weitergehen sollte.
„Für mich war das abgeschlossen, dass ich einen Anschlag begehe“, erklärte G. „Ich wollte es nicht mehr machen, ich wollte normal leben“. Im Dezember 2023 fing er einen neuen Job an, nachdem er seinen alten im August verloren hatte. Auch über den Treueid habe er nicht mehr nachgedacht. „Das war für mich Vergangenheit“.
Der GBA wollte noch mehr zur Motivation und dem Festhalten der Pläne wissen und fragte, ob er Talha oder andere nochmal kontaktiert hatte, nachdem die Polizei ihnen das Handy abgenommen hatte. Seine Gedanken schwankten zwischen Ausreise und Familie. Mit einem neuen Handy hat G. eine Kontaktperson nochmal angeschrieben. „Ich habe nur ein Hallo geschrieben und das Konto gelöscht. Ich weiß nicht, was er geantwortet hat“. Auf Nachfrage erklärte G.: „Ich wollte damit nichts mehr zu tun haben“. Auch wenn er aus der Haft kommt, will er damit nichts mehr zu tun haben. „Nach der Trennung von meiner Familie habe ich mehr wertgeschätzt, was mir fehlt“, gibt sich G. geläutert. Sein Anwalt und Strafverteidiger bestätigte auch nochmal, dass G. bei den wöchentlichen Telefonaten mit Frau und Kindern immer Tränen in den Augen hat.
Die beiden Polizisten, die die beiden Afghanen in Grenznähe kontrolliert haben und deren Zeugenaussagen für diesen Tag angedacht waren, wurden wieder nach Hause geschickt. Für den nächsten Verhandlungstag (9.12.) sind drei Polizist*innen geladen, die recht umfangreich zu den Ermittlungen erzählen sollen.
Glaubensrichtung des Islam; machen rund 85 % der Muslime aus und lehnen Ausrichtung der Schiiten ab; beide Richtungen sind vor Jahrhunderten im Streit um die Nachfolge des Propheten Mohammed entstanden
Glaubensrichtung des Islam; machen rund 11 % der Muslime aus und sehen sich unterdrückt; beide Richtungen sind vor Jahrhunderten im Streit um die Nachfolge des Propheten Mohammed entstanden
Arabisch: mein Bruder und ist eine gängige Bezeichnung untereinander
anderer Name für Islamischer Staat und seine Milizen
Arabisch: Kampf/Krieg, Begriff von Islamisten für den Kampf gegen den Westen
bekanntes russisches Sturmgewehr, welches seit Jahrzehnten vor allem von Milizen verwendet wird. Besitz und jeglicher Umgang sind nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz (KrWaffKontrG) in Deutschland grundsätzlich verboten