Wut & Frieden – Ein Montag auf Geras Straßen
Was steckt hinter dem doppelten Protest gegen die rechte Demo am vergangenen Montag? Und welche Rolle spielen der Streit um die Friedensbotschaft und die Kontraste der Kolonialgeschichte?
Laute Afro-Beats schallen über den Theatervorplatz. An einem DJ-Pult steht eine junge Frau mit Afro-Frisur und wild gemusterter Jacke, die konzentriert auf ihren Laptop schaut. Mit einer Hand dreht sie an ihrem Mischpult, mit der anderen drückt sie ihre Kopfhörer ans Ohr. Ihr Name ist Latifa Iguma. Sie ist Musikerin aus Gera und legt heute als DJ Baby G auf. Der Platz vor ihr ist dunkel und leer. Eine Handvoll Menschen wuselt umher und baut die Veranstaltung auf. Feuerschalen, Lichter und ein Tisch zur Ausgabe von Glühwein werden aufgestellt. Es soll die 19. Ausgabe der Veranstaltung „Wir sind Gera“ werden. Wie jeden Montag treffen sich antifaschistische Gersche vor dem Theater, um diesen Platz der Kultur nicht der rechten Montagsdemonstration zu überlassen. Dafür gibt es jedes Mal unterschiedliches Programm. Organisiert wird die Kundgebung vom Aktionsbündnis Gera gegen Rechts.
Latifa legt schon zum zweiten Mal auf. Sie ist hier, um „zum einen Haltung zu zeigen, zum anderen auch um Teile meiner ghanaischen Kultur zu teilen“. Konzentriert spielt sie ihre Afro-Beats ab. Sie lässt sich auch nicht ablenken, als der rechte Medienaktivist und AfD-Mandatsträger Sebastian Weber die Kundgebungsfläche betritt und über sein Handy auf YouTube streamt. Schnell bildet sich eine Traube Menschen um ihn, die ihn teilweise bedrängen, aber vor allem mithilfe von Licht und Fahnen die Sicht stören. Sie wollen nicht, dass jemand von der anderen Demo so nah die Menschen filmt. Die Polizei ist nur passiv dabei, sehr zum Missfallen Webers. Er will hier Interviews führen und die Polizei soll die Störung verhindern. „Ich glaube, hier möchte keiner mit ihnen reden, Herr Weber“, gibt ein Polizist zu bedenken. „Haben sie mit jedem gesprochen?“, entgegnet der Medienaktivist. Der Polizist dreht sich zu den anderen: „Möchte hier jemand mit dem Herrn Weber reden?“ „Nein!!!“, schallt es von allen. Irgendwann zieht Weber wieder ab. Ohne Interview.
Etwa einen Kilometer vom Theater findet eine weitere Kundgebung statt. Ein dunkles Pulk Menschen steht vor dem Stadtmuseum. Hier ist es etwas voller als vor dem Theater. Einige Fahnen werden geschwenkt, Banner werden gehalten und über eine Lautsprecheranlage werden Reden gehalten. Geras antifaschistische Jugend hat sich hier versammelt. Etwas Unterstützung von außerhalb ist auch da. Sie wollen die seit 2004 stattfindende Kundgebung „Montagsdemo Gera – das Original, Schluss mit den Reformen gegen uns“ unterstützen und ein Zeichen gegen Rechtsextremismus setzen. „Wir wollen den Montagsdemonstranten zeigen: Es gibt auch noch Leute, die anders denken und nicht eurer Meinung sind und das nicht cool finden, was ihr macht“, erläutert eine junge Antifaschistin, warum sie hier ist. Mit ihrer dunklen Kleidung blendet sie sich gut in die schwarz gekleidete Menschenmasse ein. Niemand möchte von Rechtsextremen erkannt werden. Daher die unauffällige Kleidung.
Auf dem Weg zwischen Heinrichsplatz/Arcaden und dem Weihnachtsmarkt kommen zahlreiche Leute an der Kundgebung vorbei. Die junge Antifaschistin erhofft sich, diese „vielleicht ein bisschen anzuregen, in eine andere Richtung zu denken“. Auf jeden Fall will sie Antifaschismus zeigen, denn in Gera ist die rechte Szene sehr präsent. Sie findet es wichtig, etwas dagegen zu machen, „dass das nicht in ein Ungleichgewicht gerät“.
Am Theaterplatz verschärft sich die Stimmung. In Sichtweite formieren sich die rechten Montagsdemonstranten am Hofwiesenparkplatz. Wie jeden Montag ziehen sie kurz nach 19 Uhr an dem Gegenprotest vorbei. Es wird laut. Laute Trommeln auf der einen Seite, laute Afro-Beats auf der anderen Seite, Parolen und Gebrüll auf beiden Seiten. Was auffällt: Die Rechten haben heute nicht nur einen Weihnachtsmann auf einem Anhänger dabei, sondern sehr viele Friedensflaggen. Die hellblaue Fahne mit der weißen Taube fällt auf zwischen den ganzen Flaggen vom Fürstentum Reuß, dem Deutschen Reich, Deutschland, Russland, der rechtsextremen Partei AfD und „Die Heimat“/NPD.
Die schwarz-weiß-roten Flaggen aus dem Kaiserreich stoßen Latifa besonders auf. Sie findet es „wahnsinnig krass“, dass immer noch mit Reichsflaggen umgegangen wird, „obwohl da so eine tragische Geschichte dahintersteht. Das hat mich ultra abgefuckt“. Ihre Uroma wurde gewaltsam von einem deutschen Kolonialverbrecher an einer Togolesin gezeugt. Im Deutschen Reich hatte der deutsche Kolonialismus seine Hochzeit. Unzählige Verbrechen wurden begangen und die Folgen, besonders auf dem afrikanischen Kontinent, haben bis heute Auswirkungen. Das betraf auch die Familie von Latifa, die aus der ghanaischen Stadt Keta nahe der togolesischen Grenze kommt. In Ghana und Togo waren deutsche Kolonien. Nach dem Ersten Weltkrieg endete das Deutsche Reich und die Monarchie, Deutschland verlor die Kolonien und viele Kolonialisten kehrten nach Europa zurück. Latifas Ur-Uroma wurde mit ihrem Kind zurückgelassen. Erst Latifas Vater kam nach Deutschland, aus Interesse an diesem Teil seiner Herkunft. „Dann heißt es: geh zurück in dein Land!“, ärgert sich Latifa. „Mein Vater ist nach Deutschland gekommen, weil er ja auch quasi ein Achtel Deutsch ist“. Mittlerweile hat er auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Ihr geht es bei ihrem Engagement darum, Haltung zu zeigen. „Auch aufgrund der angespannten politischen Lage möchte ich mich mehr für kulturellen Austausch engagieren.“
Der Austausch gestaltet sich an diesem Montagabend in Gera als schwierig. Angekommen bei der Kundgebung vor dem Stadtmuseum, bleibt die rechte Demo kurz stehen. Getrennt von einer Großzahl Polizist*innen, stehen sich beide Lager gegenüber. Die Antifa-Kundgebung stimmt zudem das Lied „Auf die Barrikaden (Wehrt euch, Leistet Widerstand)“ an, bei den Rechten läuft Weihnachtsmusik. Es wird gebrüllt, gepöbelt, Parolen werden gerufen. Für die Rechten um den Demoanmelder Christian Klar, scheint eindeutig: Die Antifa ist gegen Frieden, da sie gegen ihre Friedensdemo protestieren. Das Schmücken mit der Friedenstaube ist die Vorbereitung für eine große Friedensdemo am vierten Januar, die der Rechtsextremist Klar1 angekündigt hat. Nach wie vor laufen bei der Demo Rechtsextreme, Reichsbürger*innen und andere Verfassungsfeinde mit.
„Er missbraucht den Begriff Frieden“, findet Peter Lückmann, „Klar nimmt alles her, was anschlussfähig ist“. Lückmann ist Anmelder der Kundgebung vor dem Stadtmuseum und Mitglied des Friedensbündnisses Gera. Der kleine Mann mit dem Vokuhila und dem Schnauzbart ist einer der Lautesten an diesem Abend. Seitdem er als 13/14-Jähriger von Nazis angegriffen wurde, ist er mit Leib und Seele Antifaschist. In seinen 70 Lebensjahren wurde er immer wieder von Rechtsextremen attackiert und bedroht. Es hat sich viel Wut in ihm angestaut, die in solchen Situationen aus ihm herausbricht. Auch Frust über die Behörden mischt mit. An diesem Montag hat ihm das Ordnungsamt eine Spontandemo auf der Route der Rechten untersagt. Sie hätten erst danach laufen dürfen. Es ist die Bevorzugung der Rechtsextremen, die oft gegen die Auflagen des Ordnungsamts verstoßen, was ihn stört. Lückmann und andere überlegten, „den Nazis was anderes als die so wichtigen Aktionen am Theater entgegenzusetzen“. Sie wollten die „Hegemonie durchbrechen“, dass sich die Rechten nicht unwidersprochen inszenieren können, insbesondere vor dem Weihnachtsmarkt.
Mit dieser Versammlung wurden zwei Aktionen verbunden. Zum 1063. Mal fand die Kundgebung der Initiative für soziale Gerechtigkeit Gera e. V. stand und Peter Lückmann ist als Anmelder immer dabei. Jeden Montag äußern sie ihren Protest gegen Armut. An diesem Montag kam der Protest gegen Rechtsextremismus dazu. Auch die Gruppe Antifaschistische Aktion Gera (AAG)2 hatte dazu aufgerufen, wodurch sich viele junge Antifas angeschlossen haben. In einer Rede wird über die lokalen Rechtsextremen informiert. „Gerade gewaltbereite Jungfaschos wie die Gersche Jugend werden sich in den nächsten Jahren ohne antifaschistische Intervention noch weiter radikalisieren“, warnt die Person, die die Rede hält. Es geht auch um die Vernetzung verschiedener Rechtsextremer sowie um deren Gesinnung inklusive Rassismus, Menschenfeindlichkeit, NS-Verherrlichung. „Die mit der Friedensfahne biegen sich das zurecht“, betont Lückmann noch einmal. Er kauft ihnen das nicht ab.
Ein zweites Mal kommt die rechte Demo am Theaterplatz vorbei. Wieder wird es laut. Aber Zwischenfälle bleiben aus. In seiner Abschlussrede beleidigt Klar beide Anmelder der Gegenproteste als „größte Stücke Sch…, die in Gera rumlaufen“. Außerdem wünscht er sich Frieden und will „Deutschland groß und stark sehen, wie es nach der Wende einmal war“.
Während die rechte Demo für die nächsten beiden Wochen pausiert, um mit einer „Friedensdemo“ im Januar zurückzukehren, finden die Kundgebungen am Stadtmuseum und vor dem Theater weiterhin statt.
Einen Tag nach dem fürchterlichen Anschlag in Magdeburg nahm Klar an einer Demo der extremen Rechten vor Ort teil. Der Veranstalter dieser Demo nannte sich im Stream von Sebastian Weber selbst einen Nationalsozialisten und lehnte die Friedenstaube ab.