Gelebt, gejagt, gerockt: Punk in der DDR
Wer sang „DDR Terrorstaat“, was musste die DDR-Punk-Szene aushalten & was hatte die Kirche mit Punk zu tun? Aus dem Gespräch über das Buch »Tanz den Kommunismus«:
Eigentlich wollte Henryk Gericke kein Buch schreiben, aber seine Freunde haben ihn überstimmt. Der ehemalige Sänger der Punkband „The Leistungsleichen“ hatte mit ihnen einen Sampler mit DDR-Punk herausgebracht und es sollte ein Booklet dazu geben. Letztendlich ist dabei aber sein neues Buch »Tanz den Kommunismus. Punkrock DDR 1980 bis 1989« entstanden, über das Gericke am vergangenen Donnerstag in den Kaiserwerken Gera gesprochen hat. Die Gedenkstätte Amthordurchgang hatte dazu in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen eingeladen. Der Gedenkstätten-Vereinsvorsitzende Frank Karbstein moderierte das Gespräch.
Obwohl in dem Buch Punkbands porträtiert worden sind, die in der SED-Diktatur illegal aktiv waren, wollte Gericke nicht mit der Repression einsteigen. Für ihn war es in erster Linie Popkultur und er wollte die Lust daran zeigen. „Ich bin das erste Mal durch eine DDR-Zeitung auf Punk gekommen“, erzählt er. Die Pionierzeitung Trommel sei das gewesen. Die Zeitung zeichnete ein sehr übertriebenes Bild vom Punk. Aber auch die Jugendlichen mussten Punk erst richtig kennenlernen. „Für mich war AC/DC damals Punkrock, man wusste es nicht besser“, gab der jetzige Szenekenner Gericke zu. Ende der 1970er schwappte der Punk langsam in die DDR rüber. Die ersten Bands gründeten sich.
Gericke bezeichnet dabei Thüringen als eigentliches Epizentrum des DDR-Punks: „Fast jeder Ort hatte ne Punkband“. Darüber zu forschen und zu schreiben, hat ihm sehr Spaß gemacht. Er selbst kommt aus Ost-Berlin, was landläufig als Punk-Zentrum gilt. Im Gespräch hob Gericke auch die Unterschiede zwischen Stadt- und Provinzpunk hervor: „Punk in einer Kleinstadt zu sein – das war ’ne ganz andere Nummer. Da wurdest du gejagt.“ Er erinnerte sich auch, dass man anfangs eher Probleme mit den ABMs (Abschnittsbevollmächtigten) oder Nachbarn als mit Polizei und Stasi hatte. Gerade in Berlin wurden Punks zu Beginn noch für Touristen aus dem Westen gehalten. Irgendwann wurde die staatliche Repression immer mehr; 1983 forderte Stasi-Chef Erich Mielke die Zerschlagung der Szene. „Politisiert wurden wir, weil wir kriminalisiert worden sind.“ Die staatliche Repression gegen Subkulturen war nicht neu, davor traf es in der DDR schon die Beatbands und die Hippies. „Die Punkszene war die Szene, die am intensivsten von der Stasi betreut wurde“, führte Gericke aus. Die Stasi warb hier besonders viele Spitzel an, die für Geld sogar ihre Freund*innen verrieten und für viele Risse in der Szene sorgten.
Einen Verbündeten hatten die Punks damals in der Kirche. Die öffneten Freiräume für „nicht-konforme“ Jugendliche. Sie holten sich junge Leute mit Popmusik in die Kirche. In der Lutherkirche von Halle fand auch das erste Punk-Festival bzw. große Punk-Konzert der DDR statt. Als 1983 ein zweites Konzert stattfinden sollte, war die Stasi besser vorbereitet. Mit einem riesigen Polizeiaufgebot wurden die meisten Punks schon auf der Anreise aufgehalten. Auch Gericke war darunter. Er wurde noch am Hallenser Bahnhof aufgeschnappt und bekam drei Jahre Stadtverbot für Halle.
Für Gericke waren die Jahre 1984/85 eine Zäsur. Die Berliner Szene war zerschlagen. Die männlichen Punks waren vornehmlich im Knast, bei der Armee, Bausoldaten oder im Westen. „Für mich war Punk ‘85 vorbei“, erzählt Gericke. Ganz aus der DDR verschwunden ist Punk aber nicht. Im Untergrund gab es weiterhin Bands. Außerdem gab es dem Staat angenehme Bands, die sich gut dirigieren lassen haben und Fernsehauftritte bekamen.
Aus Autorensicht war es schwer, ein eindeutiges Bild zu zeichnen. Einige wollten nicht mehr über die Zeit reden, weil sie damit abgeschlossen haben und den Schmerz nicht wieder durchleben wollen. Andere waren bei ihrer Erinnerung nicht mehr ganz genau. Oft ist es auch so, dass Ereignisse vordatiert wurden. Wer war wirklich die erste DDR-Punk-Band? Man kann es nicht genau sagen.
Gericke ging es dabei aber auch nicht um eine geschichtliche Aneinanderreihung. Er hat verschiedene Bands mit Anekdoten und Erinnerungen porträtiert. Dabei will er auch mit Mythen aufräumen. Er persönlich sieht Schleim-Keim zum Beispiel nicht als die Supergroup der DDR, auch wenn sie sehr weit verbreitet waren und zusammen mit Zwitschermaschine als erste DDR-Bands im Westen publiziert worden sind. „Otze war mindestens verhaltensauffällig, aber da gabs andere, die waren krasser“, sprach Gericke über den Schleim-Keim-Frontsänger, dessen wilde Geschichte kürzlich in einer Dokumentation verarbeitet worden ist. Gericke stört, dass der Mythos das Licht von anderen abzieht.
Sehr lange hatte Gericke das Lied „DDR Terrorstaat“ beschäftigt. Ein Ausschnitt davon fand in der Doku „Störung Ost“, die eine der ersten Auseinandersetzungen mit der Szene war. Gericke wollte das Lied, das keiner kannte, mit in den Sampler aufnehmen und machte sich auf die Suche nach den Interpreten. Da die Bands alle im Untergrund agierten, gab es oft keine Namenszuweisungen. Gerade bei diesem Lied war die Anonymität nachvollziehbar. Es wurde zu DDR-Zeiten auch nicht releast. Er fragte sich um in der Szene, besprach mit Freund*innen den Slang und verglich den Stil mit anderen Bands. Irgendwann fand er jemanden, der noch eine gesamte Aufnahme hatte, jedoch auch ohne Hinweis und Erinnerung an Herkunft und Interpreten. Nach acht Jahren Recherche kam Gericke dann auf die Lösung. Er erinnerte sich an seine Arbeit an einer Doku, bei der alte Punkmusiker*innen eine ihrer Liedzeilen rezitieren sollte. Einer davon zitierte eine Stelle aus dem Song „DDR Terrorstaat“. Es war Mike Göde, Sänger von Betonromantik, ein Freund Gerickes, der sogar noch bei ihm um die Ecke wohnte. In einer
Im Gespräch am Donnerstag ging es auch um Klischees. „Feiern, Saufen, in der Ecke – gehört das zum Punk?“, fragte Moderator Karbstein. „Klischees haben immer einen Kern Wahrheit, es gab einige, für die das dazu gehört hat“, antwortete Gericke. Die Szene war sehr bunt. „Punk war auch immer eine geplatzte Wundertüte“.
Wir bei Gerda sind interessiert an den Geschichten der Stadt. Vor allem an den bisher unbekannten. Du warst Teil einer Subkultur? Schreib uns gerne!
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